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Josephine Sonnenschein – Kurzgeschichten, Gedichte, Bilder

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Schlagwort-Archiv: Schläger

Tonne (6)

03 Freitag Nov 2017

Posted by josephinesonnenschein in Allgemein, Belletristik, Erzählung, Gedanken, Literatur

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Schlagwörter

Überfall, Bücherei, Freundschaft, Hund, Krankenhaus, Krankenwagen, Polizei, Rettung, Schläger

Fortsetzungsgeschichte

Hinweis an die Leserinnen und Leser: Bei dem Text „Tonne“ handelt es sich um eine Erzählung, deren Inhalt frei erfunden ist. Ich habe sie vor einiger Zeit geschrieben und werde sie nun in einzelnen Teilen vorstellen.

Freitag, 22 Uhr
Herr Kenter auf der Polizeiwache

Am Donnerstag kam Melanie so gegen 14 Uhr in die Bücherei. Sie wirkte irgendwie verstört, anders als sonst. Suchend blickte sie sich um. Ich kam ihr entgegen, hatte hinter einem Bücherregal neue Bücher eingeordnet. Sie schien erleichtert, als sie mich entdeckte und kam eilig auf mich zu. Ich fragte nach ihrem Fahrrad, denn ich hatte versprochen, es zu reparieren.
„Mein Fahrrad steht vor der Tür, aber ich kann nicht bleiben, muss gleich wieder weg. Da wartet jemand auf mich.“ Ehe ich nachfragen konnte, war sie schon wieder verschwunden. Verwundert sah ich, wie sie rasch zu einem jungen Mann lief, der mit einem kleinen Hund neben sich auf der Bank vor der Bücherei saß. Der Hund wedelte begeistert und sprang ungestüm an Melanie hoch, hüpfte wie ein weißbraun-gefleckter Ball um sie herum. Die kennen sich, dachte ich nur und machte mich wieder an meine Arbeit.
Seltsam, durchfuhr es mich da. Noch nie hatte mir Melanie von dem Hund erzählt und auch nicht von dem jungen Mann. Ein seltsames Kind, diese Melanie, aber sehr nett, doch, immer höflich und freundlich.

Samstag, 1 Uhr
Aussage Frau Wiegers auf der Polizeiwache in F.

Kurz vor Mitternacht wartete ich an der Haltestelle auf den Bus, der wie so oft einige Minuten Verspätung hatte, da sah ich das Mädchen die schwach beleuchtete Straße entlanglaufen. Sie blickte immer wieder suchend umher, bis sie mich an der Haltestelle erblickte. Da rannte sie plötzlich schneller, geradewegs auf mich zu.
„Hilfe!“, schluchzte sie erschöpft, „bitte helfen Sie mir!“
Erschrocken sah ich sie an, nahm bei ihrem Näherkommen auf ihrer Kleidung undeutlich dunkle Flecken wahr, ihre langen Haare fielen ihr wirr ins Gesicht und an ihren Händen klebte Erde.
„Hast du dich verletzt?“’, fragte ich sie.
„Nein, nein, nicht ich, … Karl. Sie haben ihn geschlagen. Helfen Sie, bitte. Kommen Sie mit.“
Sie packte mich verzweifelt an der Hand und wandte sich wieder um, zog mich in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Es musste etwas Schreckliches geschehen sein. Ich spürte das. Es war Ernst. Ohne nachzudenken ließ ich mich ziehen, aber in meinem Alter ging das nicht so schnell, ich konnte kaum mit ihr Schritt halten.
„Langsam, ich komme ja kaum mit. Erzähl mir, was passiert ist.“
Allmählich beruhigte sie sich ein wenig und sprach von einem Karl, einer Tonne, einer Mutter, die sie wieder gesundmachen wollten, die in einer Klinik lag und nicht mehr sprach. Ehrlich, ich verstand nur Bruchstücke, aber ich ließ sie reden, weil es sie anscheinend beruhigte.
Sie führte mich in den Stadtpark, verlangsamte ihre Schritte und schien sich nicht mehr sicher zu sein, wohin sie gehen musste, um diesen Karl zu finden. Da rief sie laut: „Tonne, komm.“ Ehe ich begriff, was sie damit meinte, sprang plötzlich ein kleiner Hund an ihr hoch, scheinbar aufgetaucht aus dem dunklen Nichts, bellte, jaulte vor Freude über das Wiedersehen. „Tonne, wo ist Karl?“
Der Hund schien tatsächlich zu begreifen. Er drehte sich blitzschnell um, raste los in eine bestimmte Richtung und wir folgten ihm bzw. seinem lauten Bellen, als er bei Karl angekommen war. Endlich. Die Angst ließ  sogar mich laufen, als ich zu begreifen begann, dass da ein Verletzter lag.
„Karl, rief das Mädchen. Karl, ich bin wieder da.“
Sie rüttelte leicht die Gestalt, die zusammengekauert auf dem Boden neben der Bank lag und leise stöhnte. Ich beugte mich rasch über den dunklen Körper, berührte vorsichtig das fremde Gesicht, spürte Feuchtigkeit an meinen Fingern. Blut.
„Was fehlt Ihnen?“, fragte ich ihn. Keine Antwort. Das Mädchen erklärte: „Er spricht nicht richtig, nur mit mir, manchmal.“
Ein Arzt. Wir brauchten unbedingt einen Arzt. Ich kramte mein Handy aus der Tasche und rief den Notarzt, schilderte die Lage. „Alles wird gut“, beruhigte ich den jungen Mann. „Karl, Karl“, jammerte das Mädchen. Der Hund sprang in heller Aufregung um Karl herum. Wir warteten. Sekunden, Minuten, eine Ewigkeit. Endlich. Blaulicht blitzte auf. „Sie kommen“, sagte ich. „Hörst du das Martinshorn? Fremde Stimmen. Dunkle Schatten näherten sich. Ich ging ihnen entgegen.
„Hierher.“
Ein Arzt beugte sich über den jungen Mann, drehte ihn um, untersuchte ihn und versorgte die Wunde notdürftig mit einem Verband. „Das muss genäht werden.“ Zwei Sanitäter hoben den Verletzten vorsichtig auf eine Trage, wollten ihn rasch zum Rettungswagen bringen.
„Karl“’, schrie das Mädchen verzweifelt, „ich will mit und Tonne auch.“
Die Männer sahen sich fragend nach uns um.
Da erschienen zwei Polizisten.
„Sie können nicht mit. Er wird ins Krankenhaus gebracht. Sie müssen mit uns kommen.“
„Nein, nein“, schrie das Mädchen entsetzt und klammerte sich an der Trage fest. „Er braucht mich.“
„Kind, wir fahren doch gleich hinterher“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Oder?“, fragte ich die beiden Polizisten.
Sie sahen sich kurz an und nickten.  „Wir fahren mit dem Auto hinterher.“ Da erst ließ die Kleine die Trage los und nahm Tonne, der ebenfalls Karl hinterher wollte auf den Arm.

Samstag, 1.20 Uhr
Melanie auf der Polizeiwache in F.

Auf der Wache kümmerte sich eine junge Polizeibeamtin um Melanie, gab ihr zu trinken, wusch ihr das Gesicht und begann, sie freundlich zu befragen. Die Schläger. Der Vorfall. Die Reise. Die Zugfahrt. Das Ziel. Der Grund. Melanie sagte nur einen Satz: „Ich muss zu Karl.“ Ansonsten schwieg sie hartnäckig, während Tonne abwartend zu ihren Füßen lag.

Samstag, 4 Uhr
Im Krankenhaus von F.

Das helle Licht, der lange Gang, der so verlassen da lag, die roten und grünen Lämpchen über den Türen, hinter denen fremde Menschen krank in Betten lagen, die weißgekleideten Schwestern, die stumm vorbei huschten, ohne von ihnen Notiz zu nehmen, der lautlos auftauchende Arzt, das alles beunruhigten Melanie.
Sie wollte zu Karl, wollte wissen, wie es ihm ging. Sofort. Aber es dauerte. Sie musste mit der fremden Frau auf einer Bank vor einem Zimmer sitzen und warten. Minute um Minute verstrich. Melanie fühlte bleierne Müdigkeit aufsteigen. Immer wieder fielen ihr kurz die Augen zu, die sie erschrocken wieder aufriss. Die Frau neben ihr legte den Arm um ihre Schultern. Irgendwann gab sie ihren Widerstand auf, ihr Kopf schmiegte sich erschöpft an die fremde Schulter, deren Wärme so tröstlich war. Melanie erlebte ihre gemeinsame Reise in Gedanken noch einmal. Wie in einem Film sah sie die vergangenen Stunden vorübergleiten, war gleichzeitig Zuschauerin und Schauspielerin.

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