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Josephine Sonnenschein – Kurzgeschichten, Gedichte, Bilder

Josephine Sonnenschein – Kurzgeschichten, Gedichte, Bilder

Schlagwort-Archiv: Lehrerin

Tonne (5)

29 Sonntag Okt 2017

Posted by josephinesonnenschein in Allgemein, Belletristik, Erzählung, Gedanken, Literatur

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Schlagwörter

Alkohol, Arzt, Depression, Freundschaft, Hund, Kind, Krankenhaus, Leben, Lehrerin, Schule

Fortsetzungsgeschichte

Hinweis an die Leserinnen und Leser: Bei dem Text „Tonne“ handelt es sich um eine Erzählung, deren Inhalt frei erfunden ist. Ich habe sie vor einiger Zeit geschrieben und werde sie nun in einzelnen Teilen vorstellen.

Karls Plan zu verreisen

Er hatte Hunger und suchte in der Küche nach Essbarem. Seit seine Mutter in der Klinik war, fühlte er sich ständig hungrig. Sein Vater versorgte sie beide so gut es ging. Er brachte aus dem Krankenhaus abgepackte Portionen mit, die ihnen beiden aber nicht so recht schmecken wollten. Irgendetwas fehlte, vermissten sie beide. Es lagen nun oft Kekspackungen herum, die ihren Heißhunger auf Süßes kurzfristig stillten.
So eine Packung suchte Karl. Während er ungeduldig Schranktüren öffnete, Geschirr verschob, in Schubladen wühlte, hielt er plötzlich Fahrkarten in der Hand. Zugfahrkarten. Er kannte sie inzwischen, war mehrmals mit seinem Vater und Tonne zu seiner Mutter gefahren, mit dem Zug. Von innerer Unruhe und Aufregung gepackt, schwenkte er die Karten hin und her. Auf einmal steckte er sie in seine Hosentasche, streichelte Tonne, der sich neugierig an ihm hochstemmte über den Schädel und sagte: „Wir fahren. Tonne, wir fahren zu Mama.“
Tonne, der nur das Wort „Mama“ verstanden hatte, wedelte aufgeregt und begeistert mit dem Schwanz und bellte kurz laut auf, als wolle er Karls Entschluss bekräftigen.

Fünfte Begegnung: Melanie mit Karl und Tonne auf dem Spielplatz

Am Nachmittag traf Karl Melanie auf dem Spielplatz. Er hatte sie schon ungeduldig erwartet und ging ihr rasch entgegen, als er sie kommen sah. Verwundert nahm Melanie Karls Unruhe wahr. Er, der sonst immer so unbeteiligt, so abwesend wirkte, erschien ihr heute aufgewühlt. Da war etwas passiert. Gespannt blickte sie ihm ins Gesicht, das plötzlich so lebendig wirkte, und dachte: „Es kann nichts Schlimmes sein.“
Karl wühlte in seiner Hosentasche und zog zwei Zugfahrkarten hervor, die er ihr freudestrahlend hinhielt. „Wir fahren nach N. Wir fahren zu Mama.“ Verwirrt nahm Melanie die Fahrkarten in die Hand und betrachtete sie genauer. Sie schienen echt zu sein, obwohl sie keine Ahnung davon hatte, war noch nie mit einem richtigen Zug gereist, außer mit der SBahn in die nächste Großstadt. „Wer fährt?“, wollte sie wissen. Karl sah sie überrascht an. „Karl und Melanie und Tonne“, sagte er entschlossen. „Aber wohin, Karl?“, bohrte sie nach, „und wann, und warum?“ Wieder wunderte sich Karl. Wusste Melanie denn nicht, dass sie zu seiner Mutter fahren würden? Endlich. Er würde sie mitnehmen. Seine Bettina, seinen Engel, der Mutter helfen würde, davon war er zutiefst in seinem Inneren überzeugt. Wenn seine Mutter ihren Engel wieder hätte, könnte sie Karl wieder lieben und käme bald zu ihm und seinem Vater zurück und Melanie würde bei ihnen bleiben. Aus Bettina war nun Melanie geworden. „Freitag. Wir fahren zu meiner Mama.“

Melanie war überrumpelt. Heute war Donnerstag. Sie sollte mit Karl im Zug wegfahren. Morgen schon war Freitag. Aber das war doch unmöglich. Sie musste in die Schule gehen. Auch am Freitag. Und ihre Mutter, was würde die wohl sagen, wenn sie nicht pünktlich nach Hause käme?
Ihre erste Freude war, kaum empfunden, schon verflogen.
„Nein, das geht nicht“, widersprach sie Karl. Entsetzt starrte Karl sie an. „Doch. Du musst“, behauptete er bestimmt. Melanie schüttelte traurig den Kopf.
„Mama braucht Engel“, schrie Karl verzweifelt. „Engel macht Mama gesund.“
Da war es wieder: Karl und seine Engelgeschichten, aus denen sie immer noch nicht richtig schlau geworden war.
„Du bist ja total verrückt.“
Karl zuckte zusammen, starrte sie mit einem Blick an, der durch sie hindurchging und doch tief in ihrem Inneren ankam. Ein Blick, der ihr unheimlich war. War er vielleicht wirklich verrückt, wie manche Leute behaupteten?
Plötzlich spürte sie seine kräftigen Hände schmerzhaft auf ihren Schultern, wurde heftig durchgerüttelt, hörte Tonne aufjaulen.
„Karl, hör auf. Du tust mir weh.“
Panik ergriff sie, als sie erkannte, dass in Karls Augen Entsetzen und Angst zu lesen waren. Wie wild begann sie verzweifelt um sich zu schlagen, wehrte Karl ab, aber der war stärker und schien sie nicht mehr zu kennen. Er befand sich plötzlich in einer anderen Welt, zu der sie keinen Zugang hatte.
„Karl, bitte, lass mich doch los“, schluchzte sie mit tränenüberströmtem Gesicht.
Karls Hände, die Melanies Hals packten, drückten langsam auf ihren Kehlkopf. „Karl“, flüsterte Melanie mit heiserer Stimme, neben sich hörte sie Tonne knurren.

Frau Linder
Freitag, 8 Uhr

Frau Linder blickte prüfend in ihre Klasse. Jemand fehlte doch. Melanies Platz war leer. „Wer weiß, was mit Melanie los ist?“, fragte sie.
Niemand meldete sich. Sie sah in ratlose, gleichgültige Gesichter. Frau Linder wurde bewusst, dass Melanie keine Freunde in der Klasse hatte. Sie war eine Einzelgängerin. Sehr zurückhaltend. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Melanie hatte noch nie unentschuldigt gefehlt.
„Petra, frag doch bitte im Büro nach, ob Melanie entschuldigt ist“, bat sie das Mädchen, das in der ersten Bank saß.
Kurz darauf wussten sie es: Melanie fehlte unentschuldigt.
Frau Linder gab den Kindern Stillarbeit und ging ins Büro, um Frau Ascher, Melanies Mutter anzurufen. Es könnte ja auch unterwegs etwas passiert sein, auf dem Schulweg. Das musste geklärt werden und zwar gleich. Frau Linder ließ das Telefon lange läuten, aber niemand nahm ab. Sie bat die Sekretärin Frau S. bei Frau Aschers Arbeitsstelle anrufen, erfuhr aber, dass Frau Ascher nicht mehr dort arbeiten würde, schon seit mehreren Monaten nicht. Frau Linder vereinbarte mit der Sekretärin, in kurzen Abständen bei Frau Ascher zuhause anzurufen und ihr dann Bescheid zu geben, falls sie sie erreicht hatte. Frau S. nickte und Frau Linder kehrte noch stärker beunruhigt als zuvor zurück in ihr Klassenzimmer, aus dem sie schon von weitem lautes Geschrei vernehmen konnte. Abrupt öffnete sie die Tür. Das Schreien verstummte. Schweigen herrschte im Raum. Erwartungsvoll starrten die Kinder ihre Lehrerin an. Auch sie begannen zu spüren, dass etwas am Fehlen Melanies ungewöhnlich war.
In der kleinen Pause, um 9:30 Uhr, fragte Frau Linder besorgt im Büro nach. Frau Ascher war immer noch nicht erreichbar. Niemand hatte eine Ahnung, wo Melanie war. Spurlos verschwunden, Mutter und Tochter. Waren sie beim Arzt oder waren beide gemeinsam verschwunden? Frau Linder fand das eher unwahrscheinlich, aber durchaus möglich.
Als bis 13:00 Uhr Frau Ascher immer noch nicht erreicht werden konnte, besprach sich Frau Linder mit ihrem Schulleiter. Sie schlug vor, bei Melanie daheim vorbeizufahren, um der Sache auf den Grund zu kommen. Ihr Chef war damit einverstanden.

Freitag, 15 Uhr

Frau Linder klingelte an der Tür auf der, schon etwas verblasst, der Name Ascher zu lesen war. Neugierig blickte sie sich um, während sie gespannt wartete. Ein ganz gewöhnliches Mietshaus mit vier Parteien. Wenig gepflegt die Fassade. Nur einzelne Balkone waren liebevoll mit Blumen bepflanzt. Nichts rührte sich. Sie klingelte noch einmal, ließ diesmal den Finger länger auf dem Klingelknopf, hoffte inständig, es möge jemand öffnen. Wieder blieb die Tür verschlossen. Nichts regte sich im Treppenhaus. Erneut wurde sie von ahnungsvoller Unruhe gepackt. Da stimmte doch etwas nicht.
„Hausieren ist bei uns verboten.“
Frau Linder drehte sich der unfreundlichen Stimme entgegen und stand plötzlich einer älteren Frau gegenüber, die soeben die Eingangstür aufsperren wollte und sie misstrauisch anblickte.
„Ich möchte zu Frau Ascher, aber es scheint niemand da zu sein.“
„Da können Sie lange klingeln, die macht oft nicht auf.“
„Ich bin Frau Linder, Melanies Lehrerin. Wissen Sie, wo Melanie ist?“, erwiderte Frau Linder
„Keine Ahnung. Die treibt sich doch überall herum.“ Die Frau griff mürrisch nach ihrer Tasche und schob sich an ihr vorbei ins Treppenhaus, aus dem ihr schale, abgestandene Luft entgegenschlug.
Frau Linder wurde erneut ergriffen von quälender Unruhe. Wo war Frau Ascher?
Sie griff nach ihrem Handy, wählte rasch die Nummer ihres Schulleiters Herrn Boger.

Karls Vater
Freitag, 9 Uhr

Er kam am Freitagmorgen gut gelaunt nach Hause. Während der Nachtschicht im Krankenhaus, die er einmal im Monat übernahm, war es ruhig geblieben. Er hatte schlafen können. Jetzt freute er sich auf ein ausgiebiges Frühstück mit Karl. Außerdem war er neugierig, wie Karl eine Nacht ohne ihn verbracht hatte. Er hatte ihm ausführlich erklärt, dass er am Donnerstag allein sein würde, ihm sicherheitshalber jedoch eine Telefonnummer notiert, unter der er ihn erreichen konnte.
Als erstes fiel ihm die ungewohnte Stille auf, als er das Gartentor aufstieß. Normalerweise begann Tonne spätestens in dem Moment freudig sein Begrüßungsgebell anzustimmen, erwartete ihn bereits aufgeregt hinter der Haustür, um begeistert an ihm hochzuspringen.
Erwartungsvoll schloss er die Tür auf. Stille empfing ihn auch im Haus.
„Karl! Tonne! Guten Morgen!“
Sein Gruß verhallte ungehört. Sofort spürte er: Er war ganz allein. Das Haus war leer. Karl und Tonne waren nicht da. Nervöse Unruhe packte ihn, er riss die Küchentür auf, sah sich aufmerksam in der Küche um. Nichts war verändert seit Mittwochabend. Konzentriert wanderte er mit seinen Blicken noch einmal durch die Küche, verweilte auf der Sitzgruppe, dem Tisch mit der blauen Tischdecke, der Spüle, den Schränken und blieb schließlich hängen an der kleinen Anrichte deren Oberfläche ihm so nackt erschien. Da fehlte doch etwas. Die Fahrkarten. Die Zugtickets. Er hatte sie dort abgelegt.  Heute, am Freitag, wollte er seine Frau besuchen, mit Karl und Tonne natürlich. Die Fahrkarten waren verschwunden.
Sollte Karl sie genommen haben? Aber wozu? Beunruhigt lief er durch alle Zimmer, hoffte eine Spur zu finden, einen Hinweis auf Karls Abwesenheit.
Er versuchte sich zu beruhigen, als er alle Zimmer leer vorfand. Karl war oft alleine mit Tonne unterwegs. Vielleicht hatte er heute früh auf seiner Tour etwas Interessantes entdeckt, womit er sich längere Zeit beschäftigt hatte. Keine Panik, ermahnte er sich selbst. Enttäuscht legte er die Tüte mit den frischen Semmeln auf den Tisch und begann mechanisch den Tisch zu decken für zwei. Vielleicht kommt er ja gleich. Karl liebte Pfefferminztee. Er stellte eine Kanne mit Wasser auf den Herd, legte schon mal zwei Teebeutel bereit, blickte dabei immer wieder aus dem Fenster, horchte angestrengt auf Geräusche von draußen. Das Wasser sprudelte, automatisch schaltete er die Kochplatte ab, zog den Topf zur Seite und gab die Teebeutel ins heiße Wasser, blickte auf die Uhr, fünf Minuten ziehen lassen. Der Duft ofenfrischer Semmeln stieg ihm in die Nase, verstärkte sein Hungergefühl. Er zog sich einen Stuhl unter dem Tisch hervor, fühlte sich auf einmal hungrig und müde, erschöpft. Wo blieb bloß Karl?
Nach fünf Minuten frühstückte er allein, ohne besonderen Appetit, einzig um seinen Hunger zu stillen und Zeit zu gewinnen, um darüber nachzudenken, wo Karl sich wohl befinden mochte.

Freitag, 10 Uhr
Er ging noch einmal in Karls Zimmer. Das Bett war unberührt. Vorher war ihm das gar nicht aufgefallen. Er schlug die Bettdecke zurück und entdeckte Hefte, Bücher und ein Federmäppchen. Da lagen ja Schulsachen. Aber sie gehörten Karl nicht, das erkannte er auf einen Blick. Verwundert nahm er ein Heft in die Hand, blickte auf das Namenschild. Melanie. Klasse 3 b. Deutsch. Erstaunt sah er sich die anderen Hefte und Bücher durch. Sie gehörten alle einem Mädchen namens Melanie. Melanie? Er kannte kein Mädchen, das so hieß. Und der Nachname? Er konnte ihn nirgends entdecken.
Wie kam Karl zu diesen Schulsachen? Hatte er sie etwa einem fremden Mädchen abgenommen? War Karl inzwischen gewalttätig geworden und hatte er das als Vater, beschäftigt mit seinen eigenen Problemen, nicht bemerkt?
Junger Behinderter überfällt Mädchen auf dem Schulweg
Ohne es zu wollen, entstand sie vor seinem geistigen Auge, diese Schlagzeile, geeignet, um die schonungslose Aufmerksamkeit der Leute auf seine Familie zu lenken, auf Karl, auf ihn, dem Vater und seiner Verantwortung dem behinderten Sohn gegenüber.
So einer darf nicht frei herumlaufen
Die Leute würden Karl nicht mehr unter sich dulden, seinen harmlosen Sohn, der mit dem Müllsack unterwegs war, der sich so kindlich freuen konnte über das, was andere wegwarfen.
Nein. So durfte er nicht denken. Karl konnte jeden Augenblick zurückkehren. Er horchte angestrengt. Da war nichts zu hören. Keine menschliche Stimme. Vogelgezwitscher und entfernter Motorenlärm.
Bis Mittag beschloss er zu warten, dann würde er sich mit dem Fahrrad auf die Suche nach seinem Sohn machen, alle Spielplätze ansteuern, würde ihn sicher finden, dachte er.
Bis dahin wollte er schlafen, sich beruhigen. Aber er konnte nicht schlafen. Innerlich aufgewühlt lag er auf dem Sofa im Wohnzimmer, schloss die Augen und wartete auf den Schlaf, aus dem er aufzuwachen hoffte, Karl und Tonne neben sich. Er lag und lauschte, versuchte sich abzulenken, sich zu entspannen, dachte an die Patienten im Krankenhaus, erinnerte sich an den neuen Fall, der gestern Abend eingeliefert worden war, eine Betrunkene, die sich beim Sturz auf der Treppe das Bein gebrochen hatte. Wenigstens trank Karl nicht, war kein Alkoholiker, war nur behindert. Kein Entzug konnte ihn von seiner Behinderung befreien. Er dachte an seine Frau, die weit von ihm entfernt in einer Klinik darum kämpfte, sich aus ihren Depressionen zu befreien.

Freitag, 11 Uhr 10
Ein Klingeln an der Tür riss ihn vom Sofa. Endlich. Schnell öffnete er die Tür. Der Postbote bat ihn, für seine Nachbarn ein Paket anzunehmen. Eine Unterschrift bitte. Mechanisch setzte er seinen Namen an die angewiesene Stelle, trug automatisch das fremde Paket in den Gang. Er musste Karl finden. Jetzt. Gleich. Entschlossen holte er sein Fahrrad aus der Garage.
Karl blieb verschwunden. Alle bekannten Spielplätze hatte er abgeklappert, war nur einzelnen Jugendlichen begegnet, einigen Obdachlosen, die ihre Nächte auf den Spielplätzen verbrachten. Alle hatte er gefragt. Niemand konnte sich erinnern an einen jungen Mann mit einem kleinen Hund, der auf den seltsamen Namen Tonne hörte. Enttäuscht war er zurück gefahren, beschloss, noch einmal im Haus zu suchen, ehe er wohl die Polizei einschalten musste. Und heute Nachmittag, da wollte er seine Frau besuchen, sie erwartete ihn und auch Karl und Tonne. Was sollte er ihr bloß sagen, ohne sie in Unruhe zu versetzen? Suchen, er musste irgendeinen Hinweis finden, er musste.

Freitag, 13 Uhr 20
In Karls Zimmer öffnete er jede einzelne Schachtel, registrierte deren Inhalt, ohne einen Hinweis auf Karls Verschwinden zu entdecken. Seine Verwunderung wuchs mit jeder weiteren Schachtel, die er öffnete. Wie wenig kannte er doch seinen Sohn. Hatte keine Ahnung, was ihm diese Schätze bedeuteten, die er so sorgsam hütete und hortete. Was ging in ihm vor, seinem Sohn, dem Sprachlosen, dem Unnahbaren?
Er öffnete seinen Schrank, wühlte zwischen den Kleidungsstücken, warf in verzweifelter Wut Pullis und T-Shirts auf den Boden, tastete suchend alle Winkel des Schrankes ab und erschrak, als er tatsächlich etwas in der Hand hielt, etwas, das nicht Karl gehörte. Ungläubig starrte er an, was er in der Hand hielt, ein Kleid von Bettina, zusammengerollt, zerknittert, er breitete es aus, wehmütig, Bettinas Bild vor seinen Augen. Bettina, sein Sonnenschein. Das Kleid wippte um ihre schmutzigen Knie, wenn sie auf ihn zulief, der Saum des Kleides stand ab wie eine Glocke, wenn sie sich drehte im Kreis, solange bis sie vor Lachen nach Luft japsend ins Gras fiel. Er drückte sein Gesicht in dieses Stück Stoff, glaubte noch eine Spur ihres Duftes, ihres Geruches wahrzunehmen, glaubte sie noch einmal in seinen Armen zu halten. Jäh riss er sich los von diesen unerwarteten Gefühlen. Was tat Karl mit diesem Kleid? Und was tat er mit Bettina? Plötzlich fühlte er sich schwach, überwältigt von der ungeheuren Vorstellung, dass Karl nicht nur Bettinas Spielkamerad gewesen war, sondern … Nein, das konnte, das durfte er nicht einmal denken. Aber sein Misstrauen, seine Furcht waren geweckt, entwickelten sich blitzschnell weiter, nahmen ungeheure Ausmaße an. Sein Sohn Karl, ein Kinderschänder? Verzweifelt wehrte er diese Gedanken ab, die ihn überrannten, ihn kaum atmen ließen,  immer neue, schrecklichere Ahnungen entstehen ließen.
Er suchte weiter, immer hektischer, suchte nach Beweisen und hoffte inständig, keine zu finden, griff in die Taschen der Hosen, der Jacken, die im Schrank hingen, atmete schon erleichtert auf, als ihm ein leises metallisches Klicken verriet, dass er etwas übersehen hatte. Er starrte auf den Boden, erkannte einen winzigen Ring, Bettinas Ring.
Fünf brennende Kerzen auf eine kleine Torte gesteckt leuchteten auf, fünf Flammen, die sich in Bettinas Augen widerspiegelten, unzählige Päckchen liebevoll auf dem Tisch hindrapiert, leuchtend bunte Luftballons und Bettina, die ihre Backen aufplusterte, um die Kerzen auszublasen unter dem Beifall ihrer großen und kleinen Gäste und Karl, der verzückt dabeistand, schweigend und stumm wie meist. Und Bettina, die stolz ihren Finger herzeigte, jedem, der ihn sehen wollte, den Finger mit dem winzigen Ring, der ihre Augen stolz strahlen ließen. Wie kam Karl an diesen Ring?
Und dann die Sache mit den Schulheften. Melanie. Angestrengt dachte er nach, aber er kannte wirklich keine Melanie. Dritte Klasse. Bettina wäre jetzt auch in der dritten Klasse. Plötzlich begann er zu begreifen. Der Tag, an dem Karl so verwirrt am Mittagstisch saß, der Tag an dem er behauptete, Bettina sei wieder da. Er spürte, dass es da einen Zusammenhang gab, den er entdecken musste. Melanie und Bettina. Zwei Mädchen, die Karl viel bedeuteten. Aber woher kannte Karl diese Melanie? Und was hatte dieses Mädchen mit Bettina zu tun?
Seine Unruhe wuchs sich in Angst aus, der er nicht ausweichen konnte. Er musste wohl die Polizei einschalten, fragte sich, wie lange er noch warten durfte, wie lange er noch hoffen konnte, dass Karl wieder auftauchen würde. Konnte es sein, dass Karl allein zu seiner Mutter unterwegs war? Die fehlenden Zugkarten, eindeutiger Beweis: Karl wollte weg. War er in der Lage, allein zu der Klinik zu finden? Oder war er vielleicht gar nicht allein unterwegs? Die Polizei würde ihm viele Fragen stellen, die verschwundenen Fahrkarten erleichterten sicher die Suche, gaben klare Anhaltspunkte. Und die Frage nach Melanie, darüber weigerte er sich nachzudenken.

Freitag, 15 Uhr
Bis sieben Uhr wollte er noch warten, setzte sich noch eine letzte Frist, ehe er zur Polizei gehen wollte. In vier Stunden konnte noch viel geschehen, konnte Karl wieder heimkehren und alles wäre in Ordnung, beinahe, bis auf die Sache mit Melanie. Er stellte sich den Wecker auf 19 Uhr und legte sich erschöpft auf das Sofa. Er musste vorher noch in der Klinik Bescheid geben, dass er verhindert war, dringender Fall im Krankenhaus.

Frau Linder begegnet Herrn Kenter in der Bücherei
Freitag, 17 Uhr
Frau Linder hatte sich Bücher zurücklegen lassen. Sie brauchte sie am Wochenende. Melanies Fehlen beschäftigte sie immer noch. Herr Kenter, der Büchereimitarbeiter, suchte ihr die zurückgelegten Bücher heraus. Er wusste, dass sie Lehrerin war, deshalb sprach er sie wohl an. „Sie unterrichten doch hier an der Grundschule, nicht wahr?“, begann er freundlich. „Ja, Ja, in der dritten Klasse.“ Frau Linder wunderte sich etwas, da Herr Kenter sonst immer sehr zurückhaltend war.
„Ich habe einem Mädchen versprochen, die Bremsen an ihrem Fahrrad zu reparieren. Sie brachte das Rad gestern Nachmittag vorbei, wirkte etwas durcheinander und hatte keine Zeit zu bleiben. Ich sah, wie sie sich vor der Bücherei mit einem seltsamen jungen Mann traf, der einen kleinen Hund dabei hatte.“
„Melanie Ascher?“, platzte Frau Linder überrascht hervor.
„Genau, Melanie Ascher. Aber seither habe ich sie nicht mehr gesehen. Ihre Mutter ist gestern unerwartet ins Krankenhaus gekommen.“
„Wissen Sie mehr darüber? Ich bin Melanies Lehrerin und heute fehlte sie unentschuldigt, ihre Mutter war auch nicht zu erreichen. Ich mache mir schon große Sorgen.“
„Ich tratsche sonst gewiss nicht, aber in diesem Fall sollten Sie wissen, dass Frau Ascher sich im Krankenhaus befindet, seit gestern Abend.“ (Donnerstagabend) Fragend schaute er die Frau an, die auf eine Erklärung wartete. „Sie haben keine Ahnung, oder?“, wollte er wissen. Verwirrt schüttelte Frau Linder den Kopf.
„Wovon sollte ich eine Ahnung haben? Ich verstehe nicht …“
Herrn Kenter war es sichtlich unangenehm darüber zur reden, aber auch er machte sich große Sorgen um Melanie. Zögernd begann er.
„Also, es ist so, dass Frau Ascher alleinstehend ist und dass sie gerne Alkohol trinkt, meistens Bier. Melanie versucht das immer zu vertuschen, entsorgt die Flaschen heimlich, aber ich habe sie zufällig dabei gesehen und auch die anderen im Haus wissen Bescheid. Wenn Melanie in der Schule ist, trinkt Frau Ascher eben auch und zwar auf dem Balkon, wo viele sie sehen können. Gestern aber, als Melanie nicht von der Schule nach Hause kam, dachte sie, ihre Tochter sei bei einer Geburtstagsfeier eingeladen. Melanie hätte ihr das so gesagt. Sie würde also später heimkommen. Frau Ascher nutzte die freie Zeit, um unbekümmert trinken zu können. Vergaß dann, dass sie Spätschicht hatte, wurde von ihrem Chef angerufen und stolperte, als sie – wohl schwer betrunken – das Haus verlassen wollte, um in die Arbeit zu gehen. Sie stürzte die Treppe hinunter, blieb dort liegen. Ich hatte Lärm gehört, ein lautes Poltern gefolgt von schmerzvollem Stöhnen, daraufhin rannte ich gleich hinaus, um helfen zu können. Frau Ascher lag seltsam verkrümmt im Treppenhaus, stöhnte immer wieder vor Schmerzen und lallte , dass sie in die Arbeit müsse, ihr neuer Chef käme sie sonst holen, er hätte schon angerufen. Sie war unfähig, sich zu bewegen. Da rief ich den Notarzt, der einen offenen Beinbruch feststellte. Sie wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, musste allerdings erst wieder nüchtern werden, ehe sie operiert werden konnte.“ Nachdenklich machte Herr Kenter eine Pause.
„Aber Melanie, von ihr weiß ich nichts. Ich hatte ihr einen Zettel an die Wohnungstür geklebt und sie gebeten, sich bei mir zu melden, es wäre sehr wichtig. Der Zettel hing heute Morgen noch dort.“ Er zuckte ratlos mit den schmächtigen Schultern. Frau Linder wurde erneut gepackt von ihrer quälenden Unruhe.
„Melanie fehlte heute unentschuldigt in der Schule. Ich habe vor ein paar Stunden schon versucht mit ihrer Mutter in ihrer Wohnung zu reden. Leider öffnete dort niemand. Ich konnte ja nicht wissen, dass sie im Krankenhaus liegt.“ „Sollen wir die Polizei anrufen?“, schlug Herr Kenter vor.
„Nein, ich rufe erst meinen Chef an, vielleicht weiß er inzwischen etwas über Melanie.“
Aufgeregt griff Frau Linder zum Handy. Ihr Chef war nicht erreichbar.
Sie hinterließ folgende Nachricht: Frau Ascher liegt seit gestern Abend im Krankenhaus. Keine Spur von Melanie. Polizei informieren?

Melanie
Karl ist doch verrückt. Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern über ihren Hals. Gott sei Dank, alles schien in Ordnung. Sie hatte schon gedacht, jetzt müsse sie sterben, sterben wie Bettina. Hatte Karl Bettina vielleicht doch umgebracht? Es schien ihr jetzt durchaus möglich. Sie meinte noch seine kräftigen Hände auf ihrem Hals zu spüren. Ohne Tonne wäre sie tot. Tonne hatte sie gerettet. Im letzten Moment musste er Karl angegriffen haben, der plötzlich aufschrie und sie so heftig wegstieß, dass sie erst auf die Knie fiel, ehe sie sich aufrappelte, immer noch entsetzt und davon stolperte, von dem einzigen Gedanken besessen: weg, weit weg.
Sie war gerannt, wollte nur heim, sich einschließen in ihrem Zimmer, wollte nur Sicherheit hinter verschlossenen Türen. Endlich, schweißgebadet, schloss sie die Wohnungstür auf, drehte gleich den Schlüssel wieder um, nachdem sie im Gang war. Ihre Mutter hatte Nachmittagsschicht, zum Glück, sie konnte jetzt nicht reden, unmöglich, ohne in Tränen auszubrechen, die sie nicht erklären wollte.
Es roch schon wieder nach abgestandenem Bier. Wie sie diesen Geruch hasste. Widerlich. Eilig riss sie ein Fenster auf, dabei entdeckte sie den Brief, der auf dem Fensterbrett lag. „Jugendamt“. Erschrocken griff sie danach. „Jugendamt“. Das Wort jagte ihr erneut Angst ein. Sie begann zu lesen, verstand wenige Sätze. „Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Ihre Tochter Melanie vorübergehend von einer Pflegefamilie betreut werden wird, sofern Sie nicht bereit sind, Ihren Alkoholkonsum einzuschränken. Das Sorgerecht für Ihre Tochter muss Ihnen dann entzogen werden …“
Aufgewühlt faltete Melanie den Brief zu einem winzigen Viereck und versteckte ihn in ihrem Geldbeutel. Das Briefkuvert zerriss sie in winzige Flocken, die sie ganz unten im Abfalleimer verbarg. Weinend warf sie sich auf ihr Bett, drückte ihr Gesicht in das weiche Fell ihres Stoffhundes, der sie schon oft getröstet hatte. Erschöpft schlief sie ein.

Melanies Mutter im Krankenhaus
Freitag, 17 Uhr
„Sie wissen also wirklich nicht, wo Ihre Tochter sich aufhält?“
Der Arzt sah Frau Ascher aufmerksam an. Sie war wieder nüchtern, hatte die Operation gut überstanden und war wieder ansprechbar.
„Melanie?“, flüsterte die Frau besorgt. „Was ist mit Melanie?“ Der Arzt griff nach ihrer Hand, ertastete unauffällig den Puls. „Sie ist nicht in der Wohnung. Seit gestern Abend hat sie niemand mehr gesehen.“
„Aber …“ Mühsam dachte die Frau nach. Der Arzt konnte an ihrem blassen Gesicht förmlich erkennen, wie sie klare Gedanken zu fassen versuchte.
„Sie war bei einer Geburtstagsfeier eingeladen, am Donnerstag.“
„Wissen Sie bei wem?“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Ich habe den Namen vergessen.“
„Ihr Schulleiter wollte schon mit Ihnen sprechen. Ihre Tochter Melanie geht in die dritte Klasse, 3 b, nicht wahr?“
Frau Ascher nickte.
„Die Lehrerin hatte bei allen Kindern angerufen. Leider konnte sie nichts über Melanie erfahren.“
„Was machen wir jetzt?“,  fragte die Frau zaghaft.
„Wenn wir nichts erfahren, müssen wir die Polizei informieren. Aber Melanie taucht sicher bald wieder auf.“
Ihm war der Schreck nicht entgangen, der Frau Aschers Gesicht durchzuckte, als er das Wort „Polizei“ erwähnte. Sekunden später schlief sie ein. Das Beruhigungsmittel zeigte seine Wirkung. Im Schlaf entspannte sich ihr Gesicht. Grübelnd blickte der Arzt sie an.

Frau Linder – Arzt
Freitag, 20 Uhr
Telefonat

„Hier Linder.“
„Dr. Hauser. Haben Sie noch etwas erreichen können?“
„Nein. Nachdem ich alle Kinder der Klasse angerufen habe, weiß ich nur, dass niemand  am Donnerstag eine Geburtstagparty feierte. Merkwürdig. Einige Kinder haben auch seltsame Bemerkungen gemacht über Melanie und ihren komischen Freund, mit dem sie sich auf dem Spielplatz oft trifft. Genaueres wollten sie aber nicht rausrücken. Irgendetwas stimmt da nicht, ich habe so ein seltsames Gefühl. Was meinen Sie dazu?“
„Ich werde die Polizei benachrichtigen. Ich denke wir haben lange genug gewartet.“
„Ja, bitte, tun Sie das.“

Wish you were here – Kapitel 9

16 Samstag Jan 2016

Posted by josephinesonnenschein in Allgemein, Belletristik, Gedanken, Literatur

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Schlagwörter

Ausdruck, Charakter, Erinnerung, Gedanken, Gefühle, Klasse, Lehrerin, Schule, Unterricht

Liebe Leserinnen, lieber Leser, hier veröffentliche ich einzelne Kapitel aus meinem Buch “Wish you were here – Hilferuf einer Lehrerin“.

Kapitel 9 – Lichtblicke

Unterricht in fremden Klassen, Vertretungsstunden für erkrankte Kollegen übernehmen und feststellen können: Es gab sie auch, freundliche Schüler, die einem das Gefühl vermittelten, an der richtigen Stelle zu sein, die das Lehrer-Sein sinnvoll erscheinen ließen.

Womöglich konnte ich doch mit Kindern umgehen? In meiner Klasse war ich mir dagegen längst nicht mehr sicher, ob ich für den Lehrerberuf geeignet war.

„Das hat Spaß gemacht.“ Schüler einer fremden Klasse

Der Fachunterricht in einer neunten Klasse erschien mir als Erholung im Gegensatz zu meiner Klasse. Auch wenn dort nicht alles glatt verlief, gab es genügend Schüler, die sich am Unterricht beteiligten, ohne einen Großteil ihrer Energie auf die Bekämpfung der Lehrerperson zu verschwenden.

Aber auch in meiner, als so schwierig erlebten Klasse, erlebte ich immer wieder einzelne wertvolle Stunden, die weitgehend störungsfrei verliefen und mir Hoffnung gaben auf bleibende Besserung der Situation.

Mir war klar, dass ich den Blick auf einzelne Schüler richten musste, auf jene, die noch bereit waren, mit mir zu arbeiten. Große Gefahr spürte ich in der in mir aufkeimenden Bitterkeit, die sich immer häufiger bemerkbar machte. An manchen Tagen empfand ich alles als aussichtslos. Einige wenige Schüler aber brachten mich immer wieder dazu, nicht aufzugeben, durchzuhalten, um wenigsten ihnen die Zeit in der Schule angenehm zu gestalten und ihnen die Gewissheit zu vermitteln, sie lernten täglich Neues dazu und vor allem, dass Lernen Freude machen konnte.

Gespräche mit Kindern, die sie freiwillig mit mir führten, in der Pause oder vor bzw. nach dem Unterricht. Gespräche als Vertrauensbeweis.

Lernen macht Spaß. Manchmal gelang es mir, meine eigene Freude und meine Begeisterung auf die Kinder zu übertragen. An solchen Tagen verwandelten sich die Schüler, schlüpften gekonnt und fasziniert in fremde Rollen, erlebten die Römerzeit, fühlten sich als Herrscher, Sklaven, Soldaten, Handwerker, Bauern und Händler, tauchten ohne Scheu ein in eine vergangene fremde Welt, versetzten sich scheinbar mühelos in eine weit zurückliegende Zeit, ließen sich faszinieren, herausreißen aus ihrer stumpfen Gleichgültigkeit. An solchen Tagen war ich glücklich.

Wish you were here – Kapitel 4

11 Montag Jan 2016

Posted by josephinesonnenschein in Allgemein, Belletristik, Gedanken, Literatur

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Schlagwörter

Ausdruck, Charakter, Erfahrung, Erinnerung, Frau, Frauen, Gedanken, Gefühle, Lehrer, Lehrerin, Mütter, Mobbing, Opfer, Schule, Täter

Liebe Leserinnen, lieber Leser, hier veröffentliche ich einzelne Kapitel aus meinem Buch “Wish you were here – Hilferuf einer Lehrerin“.

Kapitel 4 – Opfer und Täter

Opfer und Täter

Ein Film

 KillerBoots

Inhalt: jugendliche Gewalt. Form: eine Produktionsbeschreibung von Stiefeln und Schädeln. Was ist das Gute an Stiefeln mit Stahlkappen? Was ist das Gute an Menschenköpfen? Was passiert, wenn beide auf der Straße aufeinandertreffen? Der Film zeigt Folgen von Gewalt. Gebrauchsgegenstände werden zu Symbolen der Gewalt und schließlich zu Waffen. Der Film ist eine Collage, ein Statement, eine Frage und eine ungewöhnliche Auseinandersetzung mit der Gewalt.

KillerBoots, ein Film, der viele Fragen offen lässt. Du hattest ihn mitgebracht in eine deiner Stunden, die zu deinem Projekt Toleranz gehörten. KillerBoots, ein Film der zeigt, wie ein Schuh mit Stahlkappe, der eigentlich als Arbeitsschuh gemacht war, zu einer gnadenlosen und tödlichen Waffe werden kann, ganz ohne Waffenschein. KillerBoots, die Stiefel zum Töten. Die Klasse war wie immer geteilt in Willige und Unwillige. Schockiert und betroffen waren die Willigen vom Inhalt des Filmes: Ein junger Mann wurde von einem Stiefelträger getreten und erlitt lebensgefährliche Schädelverletzungen. Es dauerte einige Jahre bis er wieder sprechen konnte. In winzigen Schritten gewann er mit Hilfe seiner Therapeuten nach und nach einen Teil seiner motorischen Fähigkeiten, wie gehen und schreiben, erneut zurück. Was mit dem Träger der KillerBoots passierte, blieb allerdings im Unklaren.

Das anschließende Gespräch über den Film ließ mich befürchten, dass die Unwilligen den Umgang mit KillerBoots eher als Gebrauchsanweisung auffassten, als weitere Möglichkeit Gewalt anzuwenden, anstatt aufgrund der gefährlichen Folgen davon abgeschreckt zu werden.

In einer Diskussion nannten die Schüler Situationen, in denen sie geschlagen und getreten hatten, meist aus nichtigen Anlässen. Ein Schimpfwort hatte genügt, ein unrechter Blick, ein Lachen zum falschen Zeitpunkt, ein Äußeres, das nicht gefiel, die Tatsache ein Ausländer zu sein und schon wurde zugeschlagen, ein Opfer war gefunden. Viele blieben nach wie vor davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben.

„Ich lasse mir nicht alles gefallen.“ 

Szene aus dem Unterricht: Deine Stunde. Die Schüler sitzen im Stuhlkreis, Korbinian stößt Matthias im Vorbeirennen den Ellbogen absichtlich an die Nase, Gökhan springt von seinem Stuhl auf, saust auf Matthias zu und dreht ihm grob mit einem heftigen Ruck die Nase zur Seite mit der Begründung: „Jetzt ist es wieder gut.“ Das Opfer sitzt mit Tränen in den Augen da und nichts passiert. Sollte hier nicht jemand eingreifen? Ich wurde sehr unruhig auf meinem Stuhl, aber ich hatte dir die Klasse überlassen, es war deine Stunde.

Immer wieder reden über Gewalt, Formen, Folgen und Bestrafungsmöglichkeiten, die Wortkarten häuften sich an der Wandtafel. Keine Zeit, darüber zu sprechen wie Gewalt verhindert werden kann. Wie gehe ich mit mir um, wenn ich Wut verspüre? Wie verhalte ich mich, wenn ich Gewalt anderer ausgesetzt bin? Diese Fragen konnten leider nicht ausreichend geklärt werden. Keine Zeit, du musstest wieder gehen. Immer stärker vermisste ich eine Möglichkeit, mit der das Verhalten von Opfern und Tätern durch gezieltes Training verändert werden könnte.

Du gingst mit dem Gongschlag, die Schüler aber blieben und mit ihnen ihre ungeklärten Probleme. Wish you were here.

*

„Vor ungefähr drei Wochen, da fuhr ich mit dem Bus von der Schule nach Hause, da begegnete ich ihnen zum ersten Mal. Sie waren zu dritt, drei Jungs, und sie stiegen an der gleichen Haltestelle aus wie ich. Ich kannte sie noch von der Grundschule her, vom Sehen. Nein, in der gleichen Klasse waren wir nie gewesen, aber sie wussten, dass ich auf die Realschule ging und auf dem Heimweg war.

Beim Aussteigen stieß einer mich an und alle brüllten: ‚Los, entschuldige dich. Was soll das, uns einfach anzurempeln? Kommst dir wohl als ’was Besseres vor mit deiner Realschule, oder?’ Ich war ganz verwirrt und stotterte: ‚Tut mit Leid, kommt nicht wieder vor.’ ‚Das wollen wir hoffen, sonst schaust du alt aus, du Wichser, du!’, grölten sie laut und schubsten mich aus dem Weg. Allmählich schlug meine Angst in grenzenlose Wut um. ‚Was bildeten die sich eigentlich ein?’ Zu Hause allerdings machte sich wieder die Angst breit, unbarmherzig: ‚Was sollte ich bloß tun, wenn ich ihnen wieder begegnete?’

Nach einer Woche sah ich sie wieder an der Haltestelle stehen, an der ich ausstieg. Dieses Mal waren sie zu fünft. Ich kannte aber nur die drei vom ersten Mal. Sie rauchten gelangweilt, einer trank aus einer Dose Bier, rülpste lautstark und alle taten so, als ob sie mich nicht erkannt hätten, aber ich spürte es ganz deutlich, sie hatten es auf mich abgesehen. Ganz langsam drehten sie sich um und versperrten mir den Weg, so einen Kreis bildeten sie um mich. Ganz langsam. Mit ihren Fäusten schlugen sie plötzlich wie auf ein geheimes Kommando auf meine Schultern und brüllten dabei kumpelhaft: ‚So ein Zufall, lange nicht gesehen, so eine Freude!’ Immer enger drängten sie sich an mich heran, ganz nah, ich konnte sie schon riechen, hatte den Geruch von saurem Bier und bitterem Schweiß schon in der Nase. Mit einem Ruck riss mir einer plötzlich meine Brille aus dem Gesicht und schwenkte sie wie eine Beute am Bügel durch die Luft. ‚Was haben wir denn da? Was ist denn das?’, grölte er und ließ die Brille lässig auf den Boden fallen, trat mit seinem Fuß drauf, alles ganz langsam und ich hörte es eklig knirschen, sah den ledernen Schnürstiefel, die Schuhsenkel hingen auf den Boden wie kleine Fühler, sah die Schmutzflecken auf dem ausgeblichenen Leder, sah alles wie durch ein Vergrößerungsglas, riesengroß, nahm jede Einzelheit wahr und konnte es doch nicht glauben: ‚Der Kerl da hatte einfach meine Brille zertreten, völlig grundlos. Was hatte ich ihm bloß getan?’ Ungewollt stiegen mir Tränen der Wut in die Augen. ‚Nur ja nicht heulen, nicht vor denen’, schoss es mir durch den Kopf. Verzweifelt durchstieß ich mit einem Aufschrei der Wut den Kreis und rannte davon.

Meine Eltern wollten natürlich wissen, was mit meiner Brille passiert sei, aber ich sagte nicht die Wahrheit, es war mir einfach zu peinlich. ‚Ich habe sie in der Schule vergessen,’ erklärte ich meinen Eltern. Zum Glück hatte ich noch eine alte Ersatzbrille, mit der ich zur Not meine Hausaufgaben machen konnte.

Die Brille tauchte natürlich nicht wieder auf, – konnte sie ja auch nicht, – ich war gezwungen mir eine neue zu beschaffen, sehr zum Ärger meiner Eltern, denn die Brille war sehr teuer gewesen.

Einige Wochen lang traf ich keinen aus dieser Gruppe, glaubte schon die Sache überstanden zu haben, aber eines Tages, als ich wie gewohnt an der Haltstelle ausstieg, warteten sie schon spöttisch grinsend auf mich. Wieder waren sie zu fünft, Zigaretten in der Hand. Kaum war ich draußen, rückten sie näher und bliesen mir den Zigarettenqualm voll ins Gesicht, so dass ich husten musste. Wie zur Beruhigung klopften sie mir kräftig, scheinbar freundschaftlich auf den Rücken, da näherten sich einige Erwachsene. Ich grüßte die einfach, ohne sie zu kennen. Verwundert grüßten sie zurück und im gleichen Moment traten die fünf verunsichert zur Seite. Ich nutzte die Gelegenheit und stürmte davon.

‚Morgen bist du dran, morgen zünden wir deine Klamotten an, vergiss das nicht, du feiges Arsch.’ Ihre Rufe verfolgten mich auf dem ganzen Heimweg. Ganz ehrlich, ich hatte furchtbare Angst und eine Wahnsinnswut auf diese Typen. Wie sollte ich ihnen aus dem Weg gehen? Sie hatten es auf mich abgesehen, da war ich mir ganz sicher. Sie würden mir überall auflauern, also, was sollte ich bloß tun?

Beim Abendessen beschuldigte mich meine Mutter auch noch, geraucht zu haben, da meine Kleidung auffällig nach Zigarettenqualm rieche. Ihr sei schon lange aufgefallen, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei. Entrüstet stritt ich natürlich ab, geraucht zu haben.

‚Herr Hertau, unser Nachbar, hat dich aber an der Bushaltestelle rauchen gesehen,’ behauptete meine Mutter verärgert.

Morgen zünden wir deine Klamotten an, morgen zünden wir deine Klamotten an, immer wieder quälte mich der Gedanke an morgen. Ich hatte Angst und meine Mutter glaubte, dass ich rauchte. ‚Was sind das eigentlich für Kerle, die sich da an der Haltestelle herumtreiben und die Leute belästigen?,’ fragte sie argwöhnisch nach. ‚Das sind doch nicht etwa Freunde von dir?’ ‚Freunde? Arschlöcher sind das, ganz verdammte feige, blöde, doofe Arschlöcher, die morgen meine Klamotten anzünden wollen!’, schrie ich unbeherrscht. Erschrocken schwieg ich. Zu spät, jetzt wussten es meine Eltern, dass ich mich nicht wehren konnte, dass ich ein Feigling war.

Es dauerte eine Zeit, bis meine Eltern begriffen, dass die Sache mit den Typen wirklich Ernst zu nehmen war. ‚Das melde ich der Polizei’, beschloss mein Vater. Zunächst wehrte ich mich dagegen. Welche Schande, ein Schüler braucht die Polizei, um sich gegen andere Schüler zu wehren. Sie würden mich auslachen, verspotten, an anderer Stelle auflauern, alles würde noch schlimmer werden. Übelkeit stieg in mir hoch, Verzweiflung: Meine  Lage erschien mir aussichtslos.

Mein Vater klärte inzwischen mit einem Polizeibeamten die Situation. Zwei Beamte in Zivil würden in der Nähe der Haltestelle warten und die Szene beobachten. Ein Einschreiten wäre erst möglich, wenn die Typen ihre Drohung tatsächlich wahrmachen würden, woran ich nicht im Geringsten zweifelte. Mein Vater sollte auch wie zufällig in der Nähe sein.

Ich hatte wirklich keine Ahnung davon, dass er auch an der nahe gelegenen Hauptschule angerufen hatte. Er wollte herausfinden, ob es sich bei den Typen um Schüler dieser Schule handelte.

Den ganzen Tag über fühlte ich mich beschissen, das können Sie glauben, mir graute schon den ganzen Vormittag vor der Busfahrt.

Endlich tauchte meine Haltestelle auf, ich stand langsam auf, blickte aus dem Fenster und schon sah ich sie, alle fünf.

Zigaretten rauchend standen sie abwartend da und winkten mir schadenfroh zu. Widerwillig stieg ich aus dem Bus, halb schlecht vor Angst war mir, da schlenderten sie lässig auf mich zu, die Zigaretten mit zwei Fingern haltend, immer näher rückten sie, während ich stehen blieb, unfähig mich zu rühren oder auszuweichen. Gebannt starrte ich auf die rötlich glimmende Spitze, roch den Rauch, war wie fest genagelt. Als die erste Zigarettenspitze meinen Anorak berührte, atmete ich auf: Zwei dunkel gekleidete Männer hielten den Kerl in Sekundenschnelle fest, auch mein Vater war zur Stelle und plötzlich stand da auch ein Mann, der sich als Lehrer der Hauptschule zu erkennen gab und die Typen mit Namen kannte.

Damit hatten sie nicht gerechnet. Völlig überrumpelt blieben sie stehn, keiner wehrte sich, keiner haute ab. Alle gaben ihre Namen und Adressen an, keiner leugnete den Plan, aber niemand konnte die Frage der Beamten beantworten: ‚Warum habt ihr seine Klamotten anzünden wollen?’ Schweigend zuckten sie mit den Schultern.

Ich schämte mich schon, das gebe ich zu, wäre am liebsten im Boden versunken. Aber die Beamten meinten, es wäre richtig gewesen und wichtig, um weitere Vorfälle zu verhindern. Davon bin ich nicht überzeugt. Nach wie vor fürchte ich mich davor, ihnen unerwartet zu begegnen.

Bis jetzt traf ich zwei von den Typen zufällig beim Einkaufen, sie starrten einfach an mir vorbei, ich spürte sofort, wie mich wieder die Angst packte. Wie eine grobe Faust drückte sie auf meinen Magen, so dass mir die Luft wegblieb. Gott sei Dank ließen sie mich in Ruhe, aber was ist beim nächsten Mal?“ Lorenz, Realschüler

*

Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Jungen, die Lorenz bedroht hatten um Schüler unserer Schule handelte, bunt zusammengewürfelt aus verschiedenen Klassen. Im Kollegium waren alle unangenehm überrascht, denn hinter all den von der Polizei genannten Namen verbargen sich Schüler, die uns bis dahin nicht sonderlich aufgefallen waren. Aus meiner Klasse war auch ein Schüler dabei, Clemens. Ich verstand die Welt nicht mehr: Was bewog diesen ruhigen Jungen, den ich nie in Raufereien verwickelt sah dazu, einen fremden Jungen zu bedrohen und zu ängstigen?

Mein Gespräch mit Clemens blieb erfolglos. Gleichgültiges Schulterzucken. Was ging in seinem Inneren vor? Große Augen starrten mich trotzig an. Stumm. Herausfordernd. Bekam er zu wenig Zuwendung von seiner Mutter, die immer arbeiten musste, wenn ich mit ihr reden wollte? Mitläufertum aus Einsamkeit?

Die Polizei benachrichtigte die Eltern der Täter und wollte in die Klassen zu Gesprächen kommen, die beteiligten Schüler leisteten einige Stunden Sozialarbeit. Der Vorfall geriet bald in Vergessenheit, kein Polizist erschien jemals im Unterricht. Personalmangel. 

Schulszene: Kurz vor Beginn der Pause stellen sich die Kinder vor der Tür auf. Korbinian zieht plötzlich mit einem schnellen Ruck das Knie hoch und stößt es Lukas, der neben ihm steht, zwischen die Beine. Ich beobachte wie der vor Schmerzen zusammenzuckt, mich hilflos anschaut. Wütend  stürze ich zu den beiden hin, packe Korbinian an den Schultern und stelle ihn zur Rede: „Du weißt doch selbst, wie weh das tut. Das geht jetzt aber entschieden zu weit, völlig grundlos Lukas weh zu tun. Du kannst ab sofort in einer anderen Klasse darüber nachdenken.“

Nach der Pause entschuldigte sich Korbinian bei mir, aber ich blieb hart, diese Entschuldigung war nur ein Versuch, meine Entscheidung rückgängig zu machen. Klaus hatte ihm dazu geraten.

Klassenausschluss. Ich informierte meinen Chef. Genervt erklärte er mir, ich hätte nicht eingreifen müssen, Lukas trage selbst eine gewisse Schuld. Empört starrte ich ihm ins Gesicht, sah sein kühles, herablassendes Lächeln, glaubte schon, mich verhört zu haben, fühlte mich nicht Ernst genommen. Im ersten Moment suchte ich sprachlos vor Wut nach den richtigen Worten, um ihm zu widersprechen, da erklärte er ungerührt: „Sie brauchen erst einzuschreiten, wenn das Opfer Sie darum bittet.“

„Wie bitte? Herr Gruff, Sie fordern von uns Lehrern, dass wir keine aggressiven Handlungen unter den Schülern dulden sollen. Mit Ihrer Meinung verwirren Sie mich nun total. Ich kann doch nicht immer warten, bis sich die sogenannten Opfer bei mir Hilfe holen. Das ist doch gerade das Problem, die Schwächeren gehen nicht zum Lehrer, sie trauen sich das gar nicht, weil sie nicht als Petzer dastehen wollen. Denken Sie doch an die Pausen. Wie soll ich mich denn da als Pausenaufsicht verhalten? Bei Prügeleien einfach wegschauen,  sie ignorieren? Meinen Sie das wirklich?“

Pause. Zwei Jungen schlagen sich, einer ist sichtlich unterlegen, aber sobald ich mich nähere, wird gebrüllt: „Es ist nur Spaß.“ In den Augen des Schwächeren sehe ich die Angst und den Schmerz aufflackern, während der Angreifer hämisch grinst und mich herausfordernd anschaut. Ich trenne die beiden und frage den Unterlegenen: „Ist das auch für dich Spaß?“ Zögernd wird dann meist der Kopf geschüttelt und ich weiß, der Täter wird warten, später, irgendwo auf dem Schulweg oder an einer Stelle, an der er sich unbeobachtet fühlt. Nur kurze Zeit kann ich Schutz bieten, Gewalt verhindern. Aber ist das ein Grund, eine Prügelei zu übersehen?

Wieder einmal wurde das Gespräch abrupt beendet, wie so oft, der Gong ertönte, die Antwort blieb mein Chef mir schuldig.

Manuel boxt seinen Nachbarn in den Rücken, mehrmals. „Ich habe ihm nichts getan, er heult ja nicht.“

*

Kann es sein, dass Täter in der Schule grundsätzlich mehr Zuwendung erhalten als ihre Opfer? Pädagogische Maßnahmen für beide Gruppen halte ich deshalb unbedingt für erforderlich. Den Tätern wird Zuwendung in Form von Zeit gewährt, auch wenn diese im Ableisten von Sozialstunden besteht, mit den Tätern wird immer wieder geredet, ihnen wird zugehört, für sie werden Personen freigestellt, die sich nur mit ihnen, den Tätern befassen. Täter stehen im Mittelpunkt.

Wer aber spricht mit den Opfern? Allzu schnell werden diese abgestempelt als Weicheier oder Schlappschwänze. Die Ängste der Opfer werden nicht Ernst genommen. Sie äußern sich in Kopfschmerzen, Bauchweh und häufigen Erkrankungen. Ich beobachtete Robert, einen Schüler meiner Klasse, der immer als letzter das Klassenzimmer betrat und in der Pause nicht in den Pausenhof wollte, stattdessen lieber heimlich im Gang herumschlich, um nicht gesehen zu werden. Ich wusste auch warum: Robert wurde ständig angemacht und verspottet. Ein höfliches Kind, das Therapiestunden erhielt, mit dessen Therapeuten ich bereits geredet hatte und der meine Meinung bestätigte: Robert litt unter Schulangst. Er fiel allerdings kaum auf im Klassenverband. Wen also interessierte sein Gefühlsleben? Ich versuchte sein Selbstbewusstsein zu stärken, und musste mir ausgerechnet von den schlimmsten Störern sagen lassen, dass ich ihn bevorzuge. Meine Gegenfrage: „Wundert euch das?“

*

„Natürlich ist mir  aufgefallen, dass mein Sohn Robert nun immer Streichwurstbrote für die Pause haben wollte. Er lehnte jede angebotene  Abwechslung ab. Ich wunderte mich allmählich, bis ich zufällig von seinem Freund erfuhr, dass Korbinian, ein Mitschüler, ihm  immer in der Pause seine Brote wegnahm. Eine Zeit lang funktionierte das auch, mein Sohn ließ sich Brote schmieren für einen anderen, der ihm Prügel androhte, falls er seine Brotzeit nicht abgeben würde oder petzen sollte. Als Robert zufällig feststellte, dass der andere Streichwurst nicht leiden konnte, entschloss er sich zu dieser Wurstart, um sein Pausebrot zu retten und vor allem, nehme ich an, damit er in keine Schlägerei geriet.

Mein Sohn ist ein ruhiger Kerl, kein Rabauke. Leider wird er immer sofort ausgelacht, weil er ein bisschen langsam ist im Sprechen und auch so, aber er ist sehr verträglich, höflich und freundlich, nur in dieser Klasse wird das nicht respektiert, im Gegenteil. Natürlich leidet er unter dem Spott der anderen, wehren kann er sich schlecht, er versucht es eben auf seine Art: Von der Lehrerin erfuhr ich, dass er fast immer knapp vor Unterrichtsbeginn das Klassenzimmer betritt und er verlässt das Schulhaus als letzter der Klasse. Oft klagt er schon zu Hause über Übelkeit und Kopfschmerzen.  Er will auf keinen Fall, dass ich mit der Lehrerin über seine Probleme spreche. Er befürchtet, andere könnten davon erfahren und es ihm heimzahlen.

 Sein Selbstwertgefühl muss gestärkt werden, meint sein Therapeut, aber das ist leicht gesagt, erklären Sie das mal einem  Kind, das jeden Tag Angst hat vor bestimmten Mitschülern, die schon grinsend auf ihn warten, um sich einen Spaß mit ihm zu machen. Die Lehrerin? Mit der kommt er gut klar, sie scheint ihn auch zu verstehen und zu unterstützen, aber genau darüber lästern schon wieder einige ganz harte Typen. Er kann sich schon gar nicht mehr über ein Lob freuen, weil ihm die Freude gleich wieder vermiest wird. Schwierig ist das, auch für die Lehrerin, die sich wirklich Mühe gibt und selbst schon ganz verzweifelt wirkt.

Sogar ein Elternabend war einberufen worden, um über das schlechte Klassenklima zu reden, gemeinsam mit den Fachlehrern und Eltern. Nicht nur die Klassenlehrerin sorgt sich um fehlende Klassengemeinschaft, auch die Fachlehrer haben die gleichen Probleme.

Kaum zu glauben, sagen viele Eltern, aber mich wundert es nicht. Ich kenne viele der Kinder schon aus dem Kindergarten, auch ihre Eltern, damals traten schon die ersten Schwierigkeiten im Umgang miteinander auf. Jetzt in der Pubertät wird es wohl besonders heftig, die Eltern sind auch immer machtloser und werden mit ihren Kindern nicht fertig. Alle Schuld wird dann auf die Lehrer abgewälzt. Wohin soll das noch führen?

Sie sehen es ja selbst, was die Kinder heute mit den Lehrern anstellen. Die schrecken doch vor nichts mehr zurück. Denken Sie nur an Erfurt und an all die anderen Versuche von Schülern, die eigenen Lehrer aus dem Weg zu schaffen, ja sie sogar umzubringen. Die denken wohl: ‚Weg mit den Lehrern, dann geht es uns besser.’ Aber damit sind die Probleme doch nicht gelöst, oder?

  1. Juli? Was ich von dem Unfall halte? Da hatte Roberts Lehrerin ja noch Glück gehabt, es hätte Schlimmeres passieren können, in dieser Klasse, meine ich.

Wo Robert an diesem Tag war, nachmittags? Genau weiß ich es nicht, aber Sie können ihn ja fragen.“ Roberts Mutter

*

Aber reden auch Opfer und Täter miteinander? Was wird getan, um eine positive Beziehung zwischen beiden aufzubauen? Wie kann das Verhalten von Opfern und Tätern sinnvoll geändert werden? Wer spricht von Wiedergutmachung? Nicht umsonst gibt es zunehmend Kurse für Schüler, die ihnen helfen sollen, sich erfolgreich zu wehren, ohne gewalttätig zu werden. Es gibt mir zu denken, dass diese Kurse immer häufiger angeboten werden. Im Umgang mit Erwachsenen sind sie sicher hilfreich, um Missbrauch vorzubeugen, aber auch der Umgang von Kindern untereinander wird zunehmend problematischer. Im  Lehrplan müsste mindestens eine Stunde für Verhaltenstraining und zwar von der ersten Klasse an vorgesehen sein.

Aus einem VHS-Programmangebot: „Lass das – ich hass das!“ Selbstbehauptung für Mädchen (gibt es auch für Jungen)

…Die Mädchen lernen ihren „komischen Gefühlen“ zu vertrauen und entsprechende Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. In Rollenspielen, die von Alltagssituationen (Pausenhof, Spielplatz, Schwimmbad usw.) der Mädchen ausgehen, üben sie Grenzen zu setzen, „Nein“ zu sagen, Selbstsicherheit auszustrahlen, Hilfe zu holen. Sie erproben ihre individuellen, ihrem Alter entsprechende, Verhaltens- und Verteidigungsmöglichkeiten. 

Erfahrungen aus anderen Ländern: In Norwegen hatte man festgestellt, dass Kinder, die häufig positive Körperkontakte pflegen freundlicher miteinander umgehen. Als Beispiele wurden u. a. genannt: das tägliche Grüßen mit Handschlag, das Hände fassen bei einem Stehkreis.

Auch das probierte ich aus, zugegeben, vielleicht nicht oft genug, nicht lange genug, denn meist drückte einer den anderen zu fest, schlug ihn zu kräftig und der Kontakt wurde zu einer schmerzhaften Berührung, das Ganze endete in einem haltlosen Geschrei, in einem chaotischen Durcheinander.

Können die Schüler lernen, Nähe auszuhalten, ohne auszurasten? Ich wollte es wissen.

Musik wird abgespielt, die Schüler bewegen sich im Raum, dürfen sich dabei nicht anrempeln, bei einem Anhalten der Musik müssen vorher festgelegte Aufgaben erfüllt werden z. B. dem Vordermann die Hand auf die Schulter legen oder ihm die Hand zu geben.

Immer wieder brechen einige aus, schon nach wenigen Sekunden toben sie schreiend durch den Raum, ohne Rücksicht aufeinander zu nehmen. Viele ertragen keine gegenseitige körperliche Nähe, rasten sofort aus. Erlaubte Berührung wird nicht verkraftet. Aber ist körperliche Gewalt nicht auch eine Sonder-Form von Berührung? Einseitiger Körperkontakt zwar, der Überlegenheit vermittelt. Einer muss sich wohl immer als der Stärkere fühlen, einer muss bestimmen, wann er den anderen berühren will und auch wie: Schlagen, boxen, treten, spucken. Nähe, bei der man sich nicht zu nahe kommt, denn dann könnten unerwartet Gefühle geweckt werden, unerwünschte, wie Mitleid vielleicht oder auch Verständnis.

Ich schaue schweigend auf meine Klasse, beobachte den ausgebrochenen Tumult und frage mich immer wieder:

Hatten diese Kinder jemals positive Körperkontakte erlebt? Wurden jemals zärtlich berührt, gestreichelt, liebevoll umarmt von ihren Eltern?

Bis alle wieder sitzen vergehen kostbare Minuten.

Die tägliche Frage: Wie schaffe ich es, den wichtigsten Stoff verständlich zu übermitteln und gleichzeitig versäumte Erziehungsarbeit zu leisten? Die Antwort: Ich schaffe es nicht. Diese Erkenntnis wird immer klarer. Mir war es nicht möglich.

Ich verfluchte meinen Ehrgeiz, diese Klasse verändern zu wollen, zum Positiven natürlich, wünschte ich wäre gleichgültiger, gelassener, es waren ja nicht meine Kinder. Was mühte ich mich täglich ab mit ihnen, warum hoffte ich immer noch auf die Bewahrheitung von so schönen  Sprichwörtern, die da hießen: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.“ Oder „Wie du mir, so ich dir.“ War ich tatsächlich eine naive Närrin, eine Träumerin, die an der Realität vorbeilebte?

Mein Körper warnte mich bereits seit langem mit qualvollen Kopfschmerzen, die vor allem an den Wochenenden auftraten und mich lahm legten. Was zerbrach ich mir also den Kopf über Probleme fremder Kinder und Eltern? Mein Gehalt erhielt ich doch auch ohne diese Mühe …

Es gab ja auch Lehrer, die alles lockerer nahmen, die sich nicht so in ihre Arbeit hineinsteigerten, die mehr von ihrer Freizeit hatten und die zu allem noch von den Schülern bewundert wurden.

Warum gelang mir das nicht? Ich fühlte mich immer wieder verantwortlich für diese Kinder.

 

 

 

 

 

Wish you were here – Kapitel 2

09 Samstag Jan 2016

Posted by josephinesonnenschein in Allgemein, Belletristik, Gedanken, Kunst, Kurzgeschichte, Literatur

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

Ausdruck, Charakter, Erfahrung, Erinnerung, Gedanken, Gefühle, Kurzgeschichte, Lehrer, Lehrerin, Mobbing, Schüler, Schule, Sozialpädagoge

Liebe Leserinnen, lieber Leser, hier veröffentliche ich einzelne Kapitel aus meinem Buch “Wish you were here – Hilferuf einer Lehrerin“.

Kapitel 2 – Die Situation

Ich haste den dunklen Gang entlang und spüre wieder dieses bleierne Gefühl des Ausgeliefertseins, das mich beinahe zwei Jahre lang lähmte und an meiner Arbeit verzweifeln ließ.

Heute ist vieles anders. Ich kann endlich wieder gehen ohne zu humpeln, Schmerzen im Bein spüre ich nur noch selten, die

flammend rote Narbe unter dem linken Auge beginnt zögernd zu verblassen und wird mit der Zeit ganz verschwinden, so sagen die Ärzte tröstend. Ja, ich hatte wirklich Glück gehabt, das stimmt. Aber ich reagiere immer noch in gewissen Situationen wie damals, muss mir jedes Mal bewusst machen, „das“ ist vorbei, aber ich weiß auch, „das“ kann jederzeit wieder kommen. „Das“, damit ist die Situation eines Lehrers gemeint, der hilflos wie ich vor seiner Klasse steht und nicht fähig ist, seine Funktion auszuüben.

Wish you were here. Wie oft habe ich gewünscht von anderen verstanden zu werden, mit Kollegen darüber sprechen zu können ohne gleich als Versagerin abgestempelt zu werden.

Du, der Sozialpädagoge, wurdest mir als Hilfe angeboten, wohl in erster Linie darum, weil es sich gut machte an einer Schule ein Projekt mit dem Thema „Toleranz“ durchzuführen. Ich nahm das Angebot an, weil ich wollte, dass andere, die nicht in der Lehrerolle steckten, dieses Empfinden mit mir teilen sollten und vielleicht konnte ich ja von ihnen lernen, es besser zu machen. Du sagtest selbst, dein Vorteil mir gegenüber sei, nicht Lehrer zu sein und wieder gehen zu können. Wie oft hatte ich mir das gewünscht: einfach gehen zu können, das Klassenzimmer zu verlassen.

Ich genoss es, wenn du und deine Kollegin mit der Klasse arbeiteten und ich zusehen und beobachten konnte, ohne handeln zu müssen, obwohl es mir manchmal sehr schwer fiel, nicht einzugreifen, das musste ich zugeben.

Zu wenig Zeit hattest leider auch du. Nur kurz konnten wir über die Kinder sprechen, immer in Eile blieb nicht viel Zeit zu ausführlichen Gesprächen. Allerdings wurde mir bald klar, auch du hattest zu kämpfen mit dieser Klasse, aber wie gesagt, du gingst wieder.

Zurück blieb ich mit meiner Wut, meiner aufkeimenden Aggression einzelnen Schülern gegenüber und meiner Hilflosigkeit. Ich war unfähig, diese Kinder irgendwo in der Seele berühren zu können, ihre eiskalte Fassade zu durchbrechen.

Manche hätte ich gerne festgehalten, kräftig geschüttelt bis ihre harte Schale zu bröckeln begann und andere dagegen am liebsten getröstet und im Arm gehalten. „Fassen Sie mich nicht an.“ Dieser Befehl aus Kindermund verfolgte mich.

Eine Mathematikstunde. Klaus streikt. Höhnisch grinsend verweigert er seine Mitarbeit. „Ich brauche gar nichts tun. Meine Mutter kann mir das besser erklären.“ Provokativ schneidet er mir Grimassen, die Lacher sind auf seiner Seite. Ich spüre langsam die Wut in mir aufsteigen, die Ohnmacht sich ausbreiten und einen grenzenlosen Hass auf dieses Kind, das all meine Pläne zunichte macht. Ich weiß nicht, was ich ihm getan habe. Wen sieht es in mir? Ich kann Klaus nicht länger ertragen. „Geh vor die Tür.“ Er bleibt sitzen, spöttisch lächelnd. In wenigen Schritten bin ich bei ihm, schleudere ihn vom Stuhl – „Fassen Sie mich nicht an.“ – und schlage ihm meine Hand klatschend ins Gesicht, links, rechts, links, rechts, rasend vor Wut. „Nun geh und beschwer dich.“  Bedrohliches Schweigen breitet sich im Klassenzimmer aus. Schrill  zerreißt der Gong plötzlich die jähe Stille.  

Ich wachte auf, stellte den Wecker ab und fürchtete mich vor meiner eigenen in mir schwelenden Aggression. Ein rumorender Vulkan vor dem Ausbruch. Von nun an begleitete mich die Angst auszurasten, wirklich einmal die Beherrschung zu verlieren und in eines dieser Gesichter, die mich so höhnisch und provozierend angrinsten in dem Wissen, die schlägt nicht, die wagt es nicht, die darf das nicht,  brutal hineinzuschlagen.

*

Von meinem Chef, unserem neuen Schulleiter erhielt ich ein weiteres Hilfsangebot: In der Lehrerkonferenz wurde beschlossen, dass ich die schwierigsten  Schüler aus dem Unterricht in der Klasse ausschließen durfte, d.h. sie mussten eine bestimmte  Zeit lang in eine andere Klasse gehen. Die Entscheidung musste ich treffen. Was als Erleichterung beabsichtigt war, entpuppte sich als Bumerang: Die ausgeschlossenen Schüler steigerten ihre Aggressionen mir gegenüber, denn ihrer Ansicht nach trug nur ich die Schuld an ihrem Verhalten, sie waren auch der falschen Meinung, sie könnten nur einmal ausgeschlossen werden und nach ihrer Rückkehr in die Klasse benahmen sie sich entsprechend aufsässig.

Boris schaukelt auf dem Stuhl, steckt sich Stifte in die Nase.

Gökhan rennt im Klassenzimmer umher, reißt die Fenster auf, spuckt hinaus, spielt mit dem Lichtschalter, knipst das Licht an und aus, immer wieder, möchte mehrmals hintereinander auf die Toilette, beschwert sich lautstark, weil ich ihn nicht gehen lasse.

*

Einzig wohltuend waren die Stunden, in denen ich unterrichten konnte, während einige Störenfriede ausgeschlossen blieben. Ein Aufatmen ging dann durch die Klasse. So sollte es immer sein, was natürlich eine Illusion war. So blieb es natürlich nicht. Der Ausschluss aus der Klasse führte bei keinem der Betroffenen zu der erwünschten Einsicht über sein Verhalten.

„Fehlendes Unrechtbewusstsein? Seelisch verhungert? Mangelerscheinungen an Gefühlen? Unfähigkeit zu sozialem Verhalten? Spielball ihrer Lust? Unfähigkeit Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren?“ Immer wieder vergebliche Versuche das unfassbare Verhalten vieler Schüler meiner Klasse in Worte zu fassen, Erklärungen zu finden.

Nicht nur ich als Klassenlehrerin, sondern auch andere Fachkollegen standen fassungslos vor diesen Kindern, die nichts schreckte oder überzeugte: stichhaltige Argumente, vernünftige Erklärungen über das Warum und Wieso von gewissen Regeln verpufften, prasselten bei vielen ab. Vom Lehrer erteilte Anordnungen wurden einfach nicht ausgeführt, wurden verweigert mit unvorstellbarer Selbstverständlichkeit. 

„Das mache ich nicht. Sie können mich mal. Halten Sie die Fresse.“ Manuel 

*

„Kommen Sie, wenn Sie Hilfe brauchen.“ Ein Angebot meines neuen Chefs, von dem ich mich in der ersten Zeit verstanden fühlte. Hieß es am Anfang noch „Es liegt nicht an Ihnen.“, klang es später doch ganz anders. Zu spät wurde mir bewusst, dass mein Chef nicht wirklich an meiner persönlichen Lage Interesse zeigte, sondern vor allem an der Darstellung seiner schulleiterlichen Fähigkeiten in der Öffentlichkeit. Zu tief steckte ich da schon im Sumpf der täglichen Gehässigkeiten, die mir wie faule Luft entgegenschlugen, sobald ich das Klassenzimmer betrat. Zu spät erkannte ich die wahren Absichten.

 

Wish you were here – Kapitel 1

08 Freitag Jan 2016

Posted by josephinesonnenschein in Allgemein

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

Ausdruck, Charakter, Erfahrung, Erinnerung, Gedanken, Gefühle, Lehrer, Lehrerin, Mobbing, Schüler, Schule, Trauer

Liebe Leserinnen, lieber Leser, hier veröffentliche ich einzelne Kapitel aus meinem Buch „Wish you were here – Hilferuf einer Lehrerin„.

2q1[1]

Zum Inhalt:

An der neuen Schule sieht sich die engagierte Lehrerin Frau Marau einer überaus schwierigen Klasse gegenüber. Gewalt und Disziplinlosigkeit bestimmen den täglichen Umgang der Schüler untereinander. Alle ihre Bemühungen um ein gewaltfreies Miteinander bleiben erfolglos. Aggressive Störungen und der Widerstand ihr gegenüber nehmen von Tag zu Tag zu. Sie holt sich Hilfe bei einem Sozialpädagogen und beteiligt sich mit ihrer Klasse an seinem Projekt. Die Situation droht zu eskalieren, als das Projekt von einem tragischen Unfall überschattet wird …

___________________________________________________

Kapitel 1 – Vorspann

“Ich habe ihr lange zureden müssen. Immer wieder habe ich gesagt: ’Du musst unbedingt zu Frau Klinter gehen und ihr sagen, dass du die Jungen an dem Tag gesehen hast. Du weißt aus welcher Klasse die sind. Das ist wichtig.’

Aber sie wollte nicht. Sie ist sehr schüchtern, wissen Sie, sie traute sich einfach nicht. Ja, mit mir redet sie schon, ich bin doch ihre Freundin. Ich habe ihr versprochen, mit zu unserer Lehrerin zu gehen.“

*

Der Vorhang fällt, vorbei dein letzter Auftritt, verklungen die letzten Töne der Musik.

Die Anwesenden verlassen langsam, mit zögernden Schritten den Saal, treten heraus aus dem Dämmerlicht, hinein in den blendenden Sonnenschein, ratlos und bestürzt die Gesichter. Mit endgültiger Gewissheit formt sich allmählich ein einziger übermächtiger Gedanke in den Gehirnen, der sich nicht mehr zurückdrängen lässt, der allen schmerzlich bewusst macht: du bist nicht mehr, du bist Erinnerung.

Die letzte Tasse Kaffee, zu der du mich einladen wolltest, wurde nie getrunken, unser letztes Gespräch konnte nicht mehr stattfinden.

How I wish, how I wish you were here.

 

 

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