Katharina mit Hut (Maße 11 x 16 cm)
Katharina mit Hut – Bleistiftzeichnung
16 Dienstag Feb 2016
16 Dienstag Feb 2016
24 Montag Aug 2015
29 Mittwoch Jul 2015
Posted Belletristik, Gedanken, Kurzgeschichte, Literatur
inSchlagwörter
Ausdruck, Charakter, Erfahrung, Erinnerung, Erwartung, Frau, Frauen, Geburt, Glück, Mütter, Väter
Innerlich aufgewühlt war sie von einem Besuch im Krankenhaus zurückgekommen. Nein, es war kein trauriger Anlass gewesen und auch nicht beunruhigend, wirklich nicht. Sie hatte eine Freundin besucht, die vor wenigen Tagen ihr zweites Kind geboren hatte, ein Mädchen.
Die glückliche Mutter hatte ihr in allen Einzelheiten den Verlauf der Entbindung erzählt, eine Traumgeburt wie es schien. Alles lief wie erwartet. Ihr Mann war anwesend, sie konnte auf Schmerzmittel verzichten und alles bewusst miterleben. Geduldig hatte sie zugehört und versucht, die leisen Neidgefühle, die irgendwo tief aus ihrem Inneren auftauchten, weit weg zu verbannen. Sie schämte sich deswegen, konnte mit niemandem darüber reden.
Gewiss, sie gönnte ihrer Freundin diese Traumgeburt. Gerade ihr, denn sie hatte bei ihrer ersten Tochter nicht so viel Glück gehabt. In letzter Minute, nach stundenlangen Wehen bekam sie noch einen Kaiserschnitt, was sie damals sehr frustriert hatte. Eine große Hilfe war ihr Mann, denn sogar während des Kaiserschnittes war er anwesend und leistete seelische Hilfestellung. Aufmerksam hörte sie ihrer Freundin zu und versuchte dabei ehrlich Freude zu empfinden. Hanna drückte ihr auch gleich das Baby in den Arm, vertrauensvoll. Da saß sie nun und spürte wieder den weichen duftenden Körper eines Neugeborenen. Wann hatte sie zum letzten Mal ihr eigenes Kind so im Arm gehalten?
Ohne es zu wollen tauchten ungerufen immer wieder Bilder auf, die sie längst vergessen glaubte. Langsam ahnte sie wieder das unbeschreibliche Glücksgefühl, das sie überflutete als sie ihren Sohn zum ersten Mal auf den nackten Bauch gelegt bekam, blutverschmiert noch die zarten Finger, soeben aufgetaucht aus ihrem sicheren Inneren, abhängig nun von ihr und sie von ihm, eine unbekannte Zeit lang.
Ein Gefühl der Trauer verspürte sie immer noch, wenn sie an ihren zweiten Sohn dachte, den sie nach einem einsamen Kaiserschnitt nicht zu sehen bekommen hatte. Er musste sofort in eine Kinderklinik gebracht werden wegen einer Komplikation, die ihr bis heute noch niemand ausführlich erklärt hatte. Sie hatte sich die Nacht hindurchgequält, war jede Stunde von der Schwester geweckt worden, hatte Schmerzen ertragen, in der Hoffnung, am anderen Tag hätte sie das Schlimmste bereits überstanden. Sie freute sich auf das Kind, auf Besuche und Blumensträuße. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die Erkenntnis durch ihr vernebeltes Bewusstsein drang, das Kind war ja gar nicht hier, es war fort, lag ebenso einsam wie sie in einem Bett und keiner tröstete es. Am anderen Morgen traf sie ein zweiter Schock. Sie wurde von einer Minute auf die andere ohne große Erklärungen in ein anderes Krankenhaus gebracht, angeblich war etwas nicht in Ordnung mit ihr.
Unfähig zu reden lag sie im Krankenwagen, hilflos ausgeliefert. Mit aller Kraft versuchte sie nicht zu weinen. Nur nicht weinen, nur keine Tränen, denn sie hätte nicht mehr aufhören können, lange Zeit nicht. Auf keinen Fall wollte sie hysterisch sein, nein stark, aber das tat so verdammt weh. Keiner hatte je hinterher gefragt, wie sie sich dabei gefühlt hatte und es hätte ihr so gut getan, darüber reden zu können.
Verdammt, diese dummen Gedanken schossen ihr immer wieder durch den Kopf, wenn sie Besuch auf einer Entbindungsstation machte. Ein freudiger Anlass. Alle waren fröhlich, überall herrschte entspannte Stimmung. Aber sie war sich sicher, dass es auch hier Frauen gab, deren Entbindung nicht so komplikationslos verlaufen war, deren Kind vielleicht in einer Kinderklinik lag und die deshalb litten, während um sie herum die glücklichen Mütter stolz auf ihre gesunden Kinder waren. Sie konnte gerade die unglücklichen Mütter gut verstehen. Irgendwoher kam da jedes Mal eine Wehmut, die sie stets überfiel bei solchen Besuchen und die eine quälende Unruhe bei ihr hinterließ. Wirklich, sie gönnte ihrer Freundin das Glück, aber sie beneidete sie auch ein wenig um ihren Mann. Ja, sie gab es ehrlich vor sich selber zu. So war es. Jetzt wusste sie plötzlich woher ihre traurigen Gefühle kamen.
Sie hatte beobachtet wie glücklich auch er war. Beide badeten das Kind, aber er war der Hauptakteur. Behutsam trug er das Baby, badete es und wickelte es. Durch die Glasscheibe sah sie zu und sehnte sich danach, dass ihr Mann auch einmal bereit wäre, ihr so zu helfen. Noch strahlten die jungen Mütter und Väter beim Baden und Wickeln ihrer Töchter und Söhne, noch hatten sie keine Ahnung was sie alles mit ihren Kindern erleben würden. Vor allem die Nächte fielen ihr dabei wieder ein. Schlaflos die Kinder, übermüdet die Mutter. Aber auch die Nächte konnte man sich teilen, wenn man nur wollte. Ihr war es nie gelungen, jahrelang hatte sie darunter gelitten. Wie sie ihren Mann hätte davon überzeugen können, sie wusste es nicht, weiß es heute noch nicht. Vorbei, diese Zeit, aber was bleibt ist die Erinnerung und die Vorstellung wie es hätte sein können, das Idealbild lässt sich nicht vergessen.
Äußerlich fröhlich verabschiedete sie sich von dem Elternpaar, länger wollte sie nicht stören.
Nachdenklich stieg sie ins Auto und begann sich über ihre unbehagliche Stimmung zu ärgern. Zuhause ging es ihr nicht besser. Sie fühlte sich aufgewühlt, von den Wogen der Erinnerung verschlungen. Da half kein Verdrängen. Mutig stellte sie sich ihren Gedanken, nur dann, das wusste sie aus Erfahrung, wurde sie wieder ruhiger, ein bisschen wenigstens. Sie griff nach einer Tafel Schokolade, einem Trostpflaster, was ihr auch völlig bewusst war. Aber sie wollte nur ihre innere Ruhe wieder haben und begann langsam ein Stück nach dem anderen in den Mund zu schieben, wohl wissend, dass sie sich selbst täuschte.
11 Samstag Jul 2015
Posted Belletristik, Kurzgeschichte, Literatur
inSchlagwörter
Alter, Aufbruch, Charakter, Erfahrung, Erinnerung, Freude, Gedanken, Gefühle, Glück, Leben, Leichtigkeit, Liebe
„Bitte sehr“. Sie hob kurz den Kopf, nickte dem Kellner lächelnd zu und nahm dankend die Tasse mit Kaffee entgegen, bevor sie sich wieder über das aufgeschlagene Notizbuch beugte, kurz überlegte und weiter schrieb, ehe sie sich einen Schluck Cappuccino gönnte.Träumend blickte sie über die Tische hinweg, von denen viele unbesetzt waren, jetzt in der Nachsaison, und suchte mit ihrem Blick den Strand und das Meer in der Ferne. Sie griff wieder zur Kaffeetasse und hob ihr Gesicht der Sonne entgegen, die mit warmen Fingern ihr Gesicht berührte. Zärtlichkeit war in ihr und umgab sie.Vieles war geschehen in der letzten Woche, die sie hier verbracht hatte. Heute war ihr letzter Tag. Heute wollte sie ihre Gefühle in Worte fassen, sie aufbewahren für spätere Zeiten, kältere Zeiten, Zeiten ohne Zärtlichkeit. Sie saß auf den Felsen, etwas abseits vom Strand und beobachtete die Wellen, die Unermüdlichen. Sie hatte sich einen der Felsen zu ihrem Lieblingsfelsen gewählt. Auf ihm konnte sie sitzen und liegen, träumen, beobachten, das Wasser, die Vögel und Menschen, die sich in ihren bunten Strandkörben versteckten. Von hier aus konnte sie zu ihren langen Strandspaziergängen aufbrechen, ungestört von anderen Menschen.
Seit Tagen allerdings fand sie ihre Ruhe nicht mehr, war aufgewühlt wie das Meer bei Sturm. Ein Gefühl lustvoller Unruhe bemächtigte sich ihrer, sie schwankte zwischen Frohsinn und Trauer, wollte verdrängen, was sich ihr da aufdrängte, was sie gefangen hielt, ganz ungewollt. Es dauerte geraume Zeit, ehe ihr bewusst wurde, was ihr den Schlaf raubte, was ihre Tagträume so farbig machte, was sie schwanken ließ zwischen jubelnder Stimmung und abgrundtiefer Traurigkeit. Sie weigerte sich, es wahrhaben zu wollen, aber ihr wurde es plötzlich klar, als sie ihn wieder sah, vor zwei Tagen, da spürte sie es klar und deutlich, jenes Gefühl, das so oft mit Schmetterlingen im Bauch beschrieben worden war. Das Gefühl über das sie oft abfällig gelächelt hatte, das Gefühl, das für junge Menschen bestimmt war, das Gefühl plötzlicher Verliebtheit, von dem sie unerwartet erfasst worden war. Entsetzt dachte sie an ihr Alter, – dass ihr das ausgerechnet jetzt passieren musste -, jetzt, da sie das Thema Liebe für sich schon lange abgeschlossen hatte. Und doch, Verliebtheit ist kein Vorrecht der Jungen, dachte sie trotzig, als sie abends kritisch in den Spiegel schaute, mit ihren Fingerkuppen, den einzelnen Falten in ihrem Gesicht nachspürte. Falten, in die sich ihr Leben mit Freude und Schmerzen eingeprägt hatte. Falten als Zeugen ihres Lebens. Es muss ja keiner wissen. Und er schon gleich gar nicht. Auf keinen Fall durfte er es erfahren. Nie im Leben. Sie hatte ein Geheimnis. Sie als Frau in den späten Jahren. Sie empfand es auf einmal als unerwartetes Geschenk, etwas, das sie noch einmal erleben durfte. Es tat gut und schmerzte zugleich. Diese schreckliche Sehnsucht, diese Einsamkeit mit ihrer Wahrheit. allein bleiben zu dürfen. Und doch, sie hatte es nicht herausgefordert, es war ein Zufall, es war plötzlich da, als sie ihm begegnete.
Eines Tages war ihr Lieblingsfelsen besetzt. Sie sah schon von weitem das leuchtend orangefarbene Handtuch und zu ihrem Erstaunen erkannte sie beim Näherkommen einen Stapel Bücher, der sorgsam aufgebaut war, gekrönt von einer schwarzen Kappe, die beschwert wurde von einem Stein, der das Fortwehen durch den Wind verhindern sollte. Weit und breit war niemand zu sehen. Der Besitzer – sie tippte gleich, es müsste ein Mann sein – befand sich wohl im Wasser. Neugierig suchte sie sich einen Platz in der Nähe, etwas verborgen hinter einem Strauch. Sie streckte sich in der Sonne aus, und schlief wohl ein. Mit einem Ruck setzte sie sich erschrocken auf, als ein Schatten über sie fiel. „Ich wollte Sie nicht erschrecken, wollte nur fragen, ob Sie mir die Uhrzeit sagen können.“ Der junge Mann trat rasch einen Schritt zurück und blickte sie entschuldigend an, schon bereit zum Weggehen. Verwirrt blickte sie automatisch auf ihre Armbanduhr, konnte aber geblendet von der Sonne, die Zeit nicht erkennen und außerdem hatte sie ihre Brille abgelegt, aber das konnte der junge Mann ja nicht wissen. Spontan hielt sie ihm ihren Arm entgegen, den dieser kurz berührte, um einen Blick auf das Ziffernblatt zu werfen. Sie liebte Uhren mit Zeigern und weigerte sich eine andere Uhr zu tragen. Der junge Mann starrte etwas zu lange auf ihre Uhr, er schien es nicht gewohnt zu sein, von so einer altmodischen Uhr die Zeit abzulesen, aber es gelang ihm nach Sekunden schließlich doch. „14 Uhr 20“, murmelte er und „vielen Dank.“ Lautlos verschwand er auf seinem Felsen, der doch ihr Lieblingsfelsen war. Er nahm eines der Bücher vom Stapel und begann zu lesen. Unauffällig beobachtete sie ihn. Und ganz allmählich geschah es.
In ihr regte sich etwas. Wo vorher Taubheit sich eingenistet hatte, begann sie wieder etwas zu spüren, tief in ihrem Inneren begann es zu prickeln. Überrascht dachte sie an den jungen Mann und was die Begegnung mit ihm ausgelöst hatte. Sie beschäftigte sich mit ihm, ohne ihn zu kennen.
Sie beobachtete ihn lange, sah ihn auf der Decke liegen, die Knie angezogen, die Kappe auf dem Kopf und mit beiden Händen ein Buch haltend, abgedriftet, seine Umgebung vergessend, abgetaucht in die Welt seines Buches. Was er wohl las? Vertrautheit wuchs zwischen ihr und ihm. Ein Leser. Sie liebte Bücher. Sie liebte Menschen, die lasen. Sie begann ihn sympathisch zu finden. Aber woher kam diese innere Unruhe?
Ausgestreckt lag sie auf ihrem Felsen, die Augen geschlossen, versuchte sie auf andere Gedanken zu kommen. Vergeblich. Er könnte ihr Sohn sei, den sie sich lange gewünscht hatte. Der Sohn, den sie nie hatte. Sie als Mutter. Schwer vorstellbar. Und doch. Er würde ihr als Sohn gefallen. Die Liebe zu Büchern hätten sie gemeinsam. Ein guter Anfang. Ein Bindeglied. Wie wohl seine Beziehung zur Mutter war?
Unauffällig beobachtete sie ihn. Sein Platz war leer. Das Orange des Handtuchs leuchtete ihr entgegen. Seine Abwesenheit enttäuschte sie. Ihr Blick wanderte suchend am Strand entlang. Weit draußen im Wasser bewegte sich etwas. Er könnte es sein. Sportlich der Junge. Abgehärtet. Das gefiel ihr, erinnerte sie an ihre Jugendzeit. Die täglichen kalten Duschen fielen ihr plötzlich wieder ein, der Wunsch nach Selbstdisziplin, das Leben noch vor sich, gefüllt mit Plänen, Hoffnungen, Erwartungen.
Und jetzt? Den längsten Weg hatte sie vermutlich schon zurückgelegt. Was noch blieb? Die Zufriedenheit des Alters? Nein.
Der Junge kam zurück, im Laufschritt, schnappte sich das Handtuch, rubbelte kräftig seinen jungen Körper trocken, warf sich auf den Bauch.
Da rebellierte es plötzlich in ihr. Eine Woge der Freude stieg in ihr auf. Sie fühlte sich auf einmal nur glücklich. Allmählich erkannte sie den Grund: Nicht mütterliche Gefühle beherrschten sie. Nein. Sie wagte es kaum zu denken, aber sie wusste es. Das konnte noch nicht alles gewesen sein.
Wie Schuppen fiel es ihr vor Augen: Sie wollte mehr. Wollte noch einmal erleben, was sie längst vergangen glaubte. Wollte es nur für sich: Leben mit allen Schattierungen.