Blaues Fenster – Maße 6,5 x 9,5 cm
Blaues Fenster – Aquarell
21 Sonntag Mai 2017
21 Sonntag Mai 2017
30 Samstag Jul 2016
13 Mittwoch Apr 2016
12 Dienstag Apr 2016
29 Montag Feb 2016
Schlagwörter
Ausdruck, Bäume, Erfahrung, Erinnerung, Frankreich, Freude, Garten, Park, Reise, Schloss
Schloss Montrésor (Maße 16,5 x 25 cm)
05 Mittwoch Aug 2015
Posted Belletristik, Gedanken, Kurzgeschichte, Literatur
inSchlagwörter
Ausdruck, Efeu, Einsamkeit, Erfahrung, Garten, Gedanken, Gefühle, Haus, Katze, Verlassenheit, Vermutungen, Verwilderung
Seit langem schon komme ich auf meinen Spaziergängen an dem leerstehenden Haus vorbei. Es steht ein Stück außerhalb des Waldes, den ich nun bald kenne wie meine Hosentasche. Nur dieses alte Haus, von dem ich annehme, dass es leersteht, habe ich noch nie aus der Nähe betrachtet. Heute aber biege ich entschlossen von meinem gewohnten Weg ab und gehe mit seltsamen Gefühlen auf dieses Haus zu. Dabei möchte ich unterwegs keinem begegnen und bin froh, als ich endlich davorstehe.
Ein verwilderter Garten umgibt das Haus wie einen schützenden Wall. Das Gartentor ist halb geöffnet und es quietscht, als ich es vorsichtig ganz aufdrücke, um einige Schritte in den Garten zu wagen. Kein Mensch ist zu sehen, keine Geräusche sind zu hören. Angespannt lausche ich in die Stille, bleibe einen Augenblick zögernd stehen, aber meine Neugierde verdrängt schließlich meine unbehaglichen Gefühle und entschlossen gehe ich weiter.Der Weg zum Haus ist fast schon zugewachsen mit Efeuranken, die die Hausmauern bedecken und sich auch auf dem Boden besitzergreifend in allen Richtungen ausbreiten. Wenige Schritte noch und ich stehe vor der Haustür, die nur angelehnt ist.
Erwartungsvoll öffne ich sie. Modergeruch schlägt mir entgegen und ich stehe plötzlich in einem dunklen Flur. Zuerst können meine Augen kaum etwas erkennen, aber ich spüre ganz deutlich, dass ich beobachtet werde. Erst bin ich erschrocken und möchte zurückweichen, da höre ich aus der Ecke hinter mir ein leises Fauchen, eine Katze beobachtet mich. Miit freundlichen Worten versuche ich das Tier hervorzulocken aus der finsteren Ecke. Es dauert eine Weile, dann schleicht die Katze langsam, aber immer noch misstrauisch, näher.
Sehr mager und verwahrlost sieht sie aus. Das rotbraune Fell fühlt sich struppig an. Ihre rechte Vorderpfote ist verletzt, deshalb hinkt sie ein wenig. Leise miauend streicht sie um meine Beine, in der Hoffnung, ich werde ihren Fressnapf füllen. Ich wühle in meinen Taschen, aber ich finde nichts, was ihren Hunger stillen könnte.
Auf dem Küchentisch entdecke ich eine leere Kaffeetasse, daneben liegt aufgeschlagen eine Zeitung, deren Seiten längst vergilbt sind. Der Stuhl ist weggeschoben, als ob gleich jemand zurückkommen würde, um weiterzulesen und sich nebenbei eine Tasse frischen Kaffee einzugießen.
Ich überlege, wer hier gewohnt hat: ein Mann, eine Frau? Obwohl ich außer der Katze keinen störe, bewege ich mich sehr leise und erschrecke jedes Mal, wenn der Fußboden laut knarzt und die Katze immer wieder klagende Laute von sich gibt. Angespannt öffne ich die nächste Tür und bin im Wohnzimmer.
An den Wänden kleben noch Reste von ehemals geblümten Tapeten. Aus dem abgewetzten Polster des kleinen gemütlich wirkenden Sofas ragt wie ein drohender Finger eine rostige Sprungfeder. Ein rundes Tischchen, zierlich mit einem verschnörkelten Bein aus Eisen, steht davor. Auf der zerkratzten Tischplatte liegt, mit der Titelseite nach unten, ein abgegriffenes, wahrscheinlich oft gelesenes Buch und griffbereit daneben, eine Brille mit starken Gläsern. In der Ecke entdecke ich einen Schaukelstuhl, der sehr einladend aussieht. Aber ich wage nicht, ihn auszuprobieren, obwohl ich es gern getan hätte.
Stattdessen blicke ich aus dem großen Fenster, dem einzigen im Raum. Die zum Teil gesprungenen Scheiben geben den Blick frei auf den riesigen Garten, der sicher einmal ein kleines Paradies war. Aber inzwischen macht sich auch hier unaufhaltsam wilder Efeu breit und der Garten verschwindet allmählich unter einer grünen Decke.
Ein klirrendes Geräusch reißt mich plötzlich aus meinen Gedanken und ich zucke heftig zusammen. Schnell drehe ich mich um, verspüre rasendes Herzklopfen und befürchte schon, in der nächsten Sekunde dem Bewohner des Hauses gegenüberzustehen. Da erkenne ich erleichtert, dass die Katze mit einer alten, verbogenen Stricknadel spielt, die sie unter dem Schaukelstuhl hervorgeholt hat. Aus dem verblichenen Korb daneben zupft sie nun ein Wollknäuel nach dem anderen und beginnt, die ausgebleichten Fäden am Boden wie wild hin und her zu zerren. Dabei schaut sie mich immer wieder fragend an, als ob sie mich zum Spielen auffordern möchte.
Ich aber fühle mich gepackt von einer unwiderstehlichen Neugier, die mich drängt, in den nächsten Raum zu gehen.Neben dem zerwühlten Bett, dessen schmutziger Bezug an vielen Stellen zerlöchert ist, entdecke ich einen Rollstuhl. Betroffen bleibe ich stehen und bin sonderbar berührt, komme mir vor wie ein Eindringling, der, ohne es zu wollen in die Intimsphäre eines anderen vorstößt. Am liebsten würde ich gleich wieder umkehren, dieses Zimmer verlassen, aber wie gebannt bleibe ich stehen, weiß selbst nicht warum. Und jetzt bemerke ich erst den Kleiderschrank. Weit aufgerissen sind seine Türen, ein ausgebeulter Koffer steht davor. Überall, auf dem Boden verstreut, liegen achtlos hingeworfene Kleidungsstücke herum.
Es sieht aus, als hätte jemand fluchtartig das Haus verlassen müssen, ohne genügend Zeit zu haben, in Ruhe packen zu können und Ordnung zu schaffen.
Was aber mag der Grund dafür gewesen sein? Eine Krankheit – unerwartet aufgetreten? Eine Einweisung ins Altersheim – überstürzt vorgenommen? All das erscheint mir unwahrscheinlich. Nie werde ich den wahren Grund erfahren, kann ihn nur erahnen.
Draußen scheint die Sonne, aber ich friere. Ein letztes Mal drehe ich mich um, versuche, mir möglichst viele Einzelheiten einzuprägen: Die zarten Spinnweben zwischen der Gardinenstange und dem Lampenschirm kunstvoll gespannt, die zerbrochene Fensterscheibe blind vor Schmutz, auf dem Schrank unförmige Pappkartons, sorgsam verschnürt und dick mit Staub bedeckt.
Jetzt erst nehme ich den unangenehmen Geruch im Raum wahr. Die feuchten Wände, mit grauem Schimmel bedeckt, verbreiten einen Hauch von Verwesung.
Langsam ziehe ich mich zurück, sehne mich nach frischer Luft und wärmender Sonne. Die rotbraune Katze begleitet mich lautlos bis zur Haustür. Sie hat anscheinend immer noch Hoffnung auf einen Leckerbissen. Gedankenverloren streichle ich sie. Dabei spüre ich die Wärme ihres mageren Körpers, der sich eng an meine Beine schmiegt. Einen kurzen Augenblick nur – bevor ich sie verlasse – genießen wir beide unsere gegenseitige Nähe als Zeichen unserer Lebendigkeit.
30 Donnerstag Jul 2015