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Zufällig blickte ich heute aus dem Fenster im Wartezimmer meines Arztes und entdeckte auf der Häuserfront gegenüber an der Wand deinen Namen geschrieben in großen weißen Buchstaben als Werbung für dein Büro. Du bist nun also selbständig und es ist viele Jahre her seit ich dich  näher kannte.
Unsere Freundschaft fand damals ein jähes Ende und immer noch, wenn ich daran denke, überfällt mich ein starkes Unbehagen. Ich fühle mich irgendwie schuldig und hätte es dir so gerne einmal gesagt, dass es mir heute noch Leid tut, wie wir uns trennten. Beide waren wir noch Kinder. Du warst mein erster Freund und alles war gut. Wir spielten miteinander, lachten oft, gingen gemeinsam baden und keiner nahm Anstoß daran. Aber unser erstes Glück dauerte nicht lange.
Damals hatte ich auch eine Freundin, die oft mit uns gemeinsam unterwegs war und einige Zeit schien es nicht klar zu sein, wessen Freund du nun warst. Als du dich für mich entschieden hast, gab es die ersten Probleme. Meine Freundin erwies sich als sehr eifersüchtig. Mit aller Gewalt drängte sie sich zwischen uns und versuchte hartnäckig unsere gute Beziehung zu stören.
Ich erinnere mich noch genau daran wie sie dich plötzlich schlecht machte, gerne auch ins Lächerliche zog, dich verspottete. Sie konnte sehr hartherzig sein. Nach einem Streit war immer ich es, die nachgab und wieder Kontakt zu ihr aufnahm, obwohl ich sie dafür hasste. Aber ich verstand mich dann auch wieder wunderbar mit ihr und merkte wahrscheinlich gar nicht, dass ich ständig von ihr ausgenutzt wurde. Trotzdem traf ich mich weiter mit dir auf der Wiese, die es heute noch gibt. Erinnerst du dich? Du wohnst immer noch in meiner Nähe, aber ich sehe dich nicht mehr. Das liegt sicher daran, dass du nun mit dem Auto unterwegs bist und ich meist mit dem Fahrrad. Ich weiß, du bist verheiratet und hast einen Sohn, seit heute weiß ich auch, dass du ein eigenes Büro hast.
Manchmal frage ich mich, ob du ab und zu noch an unsere Freundschaft aus Kindertagen denkst. Ich würde zu gerne wissen, ob du unter der Trennung gelitten hast. Mir fällt es immer noch schwer, gelassen daran zu denken. Ich versuchte schon die ganze Angelegenheit als Kindersache abzutun und mit Humor zu betrachten, also nachsichtig darüber zu lächeln. Es will mir aber nicht gelingen, denn ich schäme mich vor mir, dass ich meiner Freundin nachgegeben habe und mit ihr diesen verletzenden Brief an dich geschrieben habe, die Aufkündigung unserer Freundschaft.
Nachher bin ich dir ständig ausgewichen, ich fühlte mich so unglücklich und hätte alles gerne wieder rückgängig gemacht, aber da war es zu spät.
Wehmütig denke ich an meine Kommunionsfeier zurück. Ich wollte dich einladen, aber meine Eltern erlaubten es nicht. Am Abend habe ich mich mit dir allein getroffen. Du hattest mich darum gebeten, heimlich, weil du mir etwas schenken wolltest. Heute noch habe ich dein Bild von damals. Es zeigte eine Mutter Gottes mit dem Jesu Kind im Arm. Auf die Rückseite des Bildes hattest du eine Widmung eingeritzt, für mich, mit weißem Stift. Das Glück von damals kann ich noch immer verspüren. Mein Gott wie war ich froh. Ich sehe mich wieder, klein und unendlich glücklich an jenem warmen Maiabend die dunkle Straße entlanggehen. Dein Bild hielt ich im Arm wie einen kostbaren Schatz und es war so gut zu wissen, du magst mich.
Lange Zeit begleitete mich dein Geschenk. Jetzt liegt es im Keller. Hin und wieder, wenn ich in meinen alten Ordnern krame, fällt es mir in die Hände, jedes Mal unerwartet und völlig überraschend. Gedankenverloren wische ich den Staub ab und sehnsüchtig denke ich an jene entfernte Zeit zurück, die auf einmal wieder so nah ist, jene Zeit, da Liebe, auch eine Kinderliebe so natürlich war.
Einmal nahm ich dich mit auf mein Zimmer, das ich damals neu eingerichtet bekam. Irgendetwas wollte ich dir zeigen, was, weiß ich nicht mehr so genau. Unerwartet tauchte da meine Mutter auf und sah mich seltsam an. Später erklärte sie mir, ich dürfte dich nicht mehr auf mein Zimmer mitnehmen, vor allem nicht allein. Der Grund dafür war mir rätselhaft, heute sehe ich darin eine Unterstellung, sicher ungerechtfertigt jedoch. Erwachsene sahen die Liebe anders, sie konnten sich nicht vorstellen, dass es tatsächlich eine ernstzunehmende Kinderliebe geben konnte, die ehrlich und unschuldig war.
Meine Freundin versuchte mir einzureden, man könnte ein Kind bekommen, wenn man sich an der Hand gehalten hat. Du hast auch meine Hand gehalten, zärtlich, liebevoll beim Laufen durch hohes Gras und wir lagen nebeneinander, Seite an Seite, in den Himmel über uns blickend, grenzenlos unbeschwert und glücklich, unsere Nähe zu spüren. Schreckliche Angst quälte mich einige Tage, denn aufgeklärt war ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Wohl wusste ich, dass eine Frau schwanger werden konnte, denn das hatte mir meine Mutter schon erklärt, indem sie mich verlegen darauf hinwies, ich sollte Frauen mit dicken Bäuchen nicht auslachen, denn es könnte durchaus sein, dass sich in einem dicken Bauch ein Baby verbarg. Tagelang beobachtete ich daraufhin meinen eigenen Bauch, um endlich beruhigt festzustellen, dass er sich nicht veränderte. Schließlich dachte ich mir, konnte die Behauptung meiner Freundin logischerweise nicht stimmen, denn dann dürfte man sich ja die Hände auch nicht schütteln, ohne ständig Gefahr zu laufen ein Kind zu bekommen. Doch meine Freundin hatte mir Angst eingejagt und vor allem spürte ich, dass sie es absichtlich getan hatte.
Allmählich begann ich zu begreifen, was sie vorhatte. Sie wollte heimtückisch unsere Freundschaft zerstören. Wie lange es gedauert hat, bis sie mich endgültig davon überzeugt hat, es sei besser, auf dich zu verzichten, weiß ich nicht mehr.
Oft noch trafen wir uns, hatten uns immer eine Menge zu erzählen, aber der Schatten der anderen drängte sich unaufhaltsam zwischen uns. Heute würde man von einer Dreierbeziehung sprechen, die bekanntlich selten ohne Konflikte auskommt und alle Beteiligten in heftige Gefühlsausbrüche verstrickt. Auch bei Kindern ist das nicht anders. Immer wieder schaffte es meine Freundin mir feine Stiche zu verpassen, um unsere Beziehung schlecht zu machen und dich in Frage zu stellen. Irgendwie gelang es ihr dann auch, mir klar zu machen, ich müsste mich zwischen dir und ihr entscheiden. Meine Entscheidung kennst du ja und findest es vermutlich lächerlich und eine bloße Zeitverschwendung, darüber heute noch nachzudenken. Ich weiß, vermutlich denken alle so. Trotzdem möchte ich es dir einmal wenigstens gesagt haben wie Leid es mir schon kurz darauf getan hat, unsere Freundschaft auf so schäbige Weise verraten zu haben.