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Liebe Leserinnen, lieber Leser, hier veröffentliche ich einzelne Kapitel aus meinem Buch “Wish you were here – Hilferuf einer Lehrerin“.

Kapitel 10 – Hinter meinem Rücken

In diesem ständigen Auf und Ab der Gefühle machte ich die bittere Erfahrung, dass mein Chef mir in den Rücken fiel.

Boris war der erste Schüler, der von dem Klassenausschluss betroffen war. Seine Eltern waren, wie in der Konferenz vereinbart, vom Schulleiter davon benachrichtigt worden. Kurz darauf stellte ich jedoch fest, dass die Eltern der später ausgeschlossenen Schüler dagegen keine Mitteilung erhalten hatten.

Als Grund dafür wurde mir genannt: „Die Mutter von Klaus verträgt das nicht.“

So hatte ich mir die Zusammenarbeit zwischen Lehrer und Eltern nicht vorgestellt. Zum ersten Mal taten sich nach diesen Worten erste, feine Risse auf im Verhältnis zu meinem Chef, die Basis gegenseitigen Vertrauens begann sich ganz langsam aufzulösen, geriet ins Wanken. Aus Vertrauen wurde Misstrauen.

Ich wusste wohl, dass ich mir diese Mutter zur erbitterten Feindin gemacht hatte, weil ich es gewagt hatte, das Verhalten ihres Sohnes zu kritisieren. Sie dagegen unterstützte ihr Kind, sah alle Schuld bei mir, teilte dies sicher auch ihrem Sohn mit, woraus aus seinen aufwieglerischen Äußerungen zu schließen war. Gerade deshalb erschien es mir notwendig, dass mein Chef zu mir stand und sich nicht auf die Seite dieser Mutter stellte, die jeglichen Kontakt mit mir strikt verweigerte.

Die Schüler spürten sofort, dass sie beim Schulleiter nachhaken konnten. Immer öfter fiel im Unterricht der Satz: 

„Das dürfen Sie nicht. Das sagen wir Herrn Gruff.“

*

Boris öffnete ich daraufhin eines Tages die Klassenzimmertür und schickte ihn mit den Worten: „Geh und beschwer dich, aber sofort.“, hinaus. Verunsichert verließ er das Klassenzimmer, vermutlich jedoch ohne ins Büro zu gehen. Auch unser Schulleiter wollte nicht immer gestört werden, auch er konnte sehr unangenehm werden.

In einem vertraulichen Gespräch teilte mir mein Chef mit, dass sich Eltern über mich beklagt hätten, ich wäre handgreiflich geworden. Natürlich wollte ich Genaueres wissen: Welche Eltern? Wie viele? Welche Art von Handgreiflichkeiten wurde mir vorgeworfen?

Herr Gruff gab nach einigem Zögern zu: „Es waren einige Schüler, nicht die Eltern.“ Er hatte mich also angelogen. Der giftige Stachel des Misstrauens grub sich tiefer in mein Bewusstsein. Er hatte also den Schülern sofort geglaubt, ohne mit mir darüber geredet zu haben. Wish you were here.

Um den ständigen Auseinandersetzungen unter den Schülern gezielter begegnen zu können, schlug mir eine Beratungslehrerin vor, in meiner Klasse ein spezielles Soziogramm durchzuführen. Es könnte Aufschluss geben über die innere Struktur der Klasse. Ich willigte ein und wartete gespannt auf die Auswertung des Soziogrammes.

Wochen später traf ich Frau A. im Lehrerzimmer und fragte sie, was aus dem Soziogramm geworden sei. Sie schien ehrlich überrascht: „Haben Sie die Auswertung noch nicht erhalten? Vor ein paar Wochen schon habe ich sie Herrn Gruff gegeben, mit der Bitte, sie an Sie weiter zu reichen.“ Ich hatte die Auswertung nie erhalten. Eine erneute Nachfrage bei meinem Chef ergab, dass er es momentan nicht finde könne und außerdem vertrat er die Auffassung: „Ein Soziogramm entspricht nach vier Wochen sowieso nicht mehr der tatsächlichen Situation.“ Das allerdings war mir neu. Mein Misstrauen begann zu wachsen. Ich entschloss mich, mein eigenes Soziogramm zu machen und nach dessen Auswertung die Sitzordnung der Kinder zu verändern.